Zeitsprung

Die freien Tage neigen sich allmählich dem Ende zu. Heute früh nutze ich die Gunst der Stunde und bin mit meinem Vater, dem es heute so einigermaßen geht, los, Rollator in`s Auto und in Richtung Wuppertaler Osten. Ziel ist der Beyenburger Stausee,  mit seinen flachen Wegen am Ufer. Auf dem Weg dorthin machen wir einen kleinen Abstecher in die Berge, hin zu seinem alten Garten, den er vor 11 Jahren aufgegeben hat. Der liegt am Rande einer Hofschaft, so nennt man hier eine Ansiedlung von mindestens zwei Bauernhöfen. Das Stück Weide war gemietet und mein Vater war damals froh, alles so stehen lassen zu können, wie es war, als Unterstand für Maschinen und Werkzeug war die Hütte, in der zuvor 40 Jahre lang seine Wohnwagen standen, noch gut zu gebrauchen. Meine Erleichterung damals war auch groß. Mein Vater hat die Hütte selbst gebaut, mit allem, was er günstig auftreiben konnte und so wusste ich, dass es so gut wie keine zwei gleichen Schrauben dort gibt, was eine halbwegs geordnete Demontage zu einer echten Herausforderung gemacht hätte. Blieb uns erspart…

Selbst bin ich viele Jahre nicht mehr dort gewesen, hätte nicht gedacht, das dort noch irgend etwas steht. Als mein Vater sich dort einquartierte, war ich gerade 7 Jahre jung, und so kam es, dass ich nicht nur in der Stadt, sondern zu einem guten Teil auch auf dem Land aufwuchs, derweil meine Eltern jede freie Zeit nutzten, um dort zu sein, Besuch zu empfangen, zu grillen, trinken, feste Feste zu feiern. Ein auch für mich sehr Erinnerungs-geschwängerter Ort also. Der Verfall ist heute offensichtlich, trocken sei es drinnen meist immer noch, wie uns der jetzige Hofbetreiber, einer der Söhne des Altbauern, mit dem ich damals Teile meiner Zeit verbracht habe, versicherte. Hat jemand gebaut, der da Ahnung von hatte, meint er Augen zwinkend.

Wir halten uns nicht lange auf, nach einem kurzen Schwatz machen wir uns auf dem Weg zum Stausee, solange mein Vater noch ein paar fitte Stunden hat. Dort gehen wir eine kleine Runde, um dann in einem Lokal in den angrenzenden Bergen Mittag zu machen. Hier setzt sich die surreale Stimmung fort, es ist 12 Uhr, wir sind die einzigen Gäste in dem totenstillen, leicht nach kalten Essen riechenden 60er-Jahre-Ambiente. Noch eine sterbende Welt, denke ich, als die alte Wirtin kommt. Sie kennen sich, Vater und sie, vom campen und vom unzähligen einkehren dort. Mir fröstelt, in dem Lokal ist es frisch, das ist es aber nicht allein. Sie erzählt vom Mann, der ein Stockwerk höher liegt, dem es noch weniger gut geht als meinem Vater. Während sie die Bestellung weiter gibt, sitzen wir schweigend dort und lassen die Lokalität auf uns wirken. Das Essen ist in Ordnung, langsam kommen noch ein paar Gäste. Großeltern mit Enkelkinder offensichtlich, was mir gut bekommt, nach dem geballten Verfall. Gehört beides zusammen, denke ich.

Und so fahre ich den Alten wieder heim, spüre dem Erlebten nach. Könnte ein Buch schreiben über diesen Ort, mit der Hütte. Was ich nicht tun werde, wer will`s wissen, eine Kindheit hatte schließlich jeder mal. Wie auch immer…

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Dienstag, 200728

Jetzt ist es soweit. Bin nun einer, über den ich früher meine Scherze gemacht habe. Eine Stockente, richtiger Weise gegendert ein Stockerpel. Weil zu steif in den Schultern, habe ich mir so ein paar Stöcke zugelegt. Theoretisch wusste ich schon bestens Bescheid, zahllose Youtube-Tutorials lassen grüßen. Ist auch nicht wirklich schwierig, unterstützen die Dinger doch lediglich die natürlichen Armbewegungen beim gehen. Fühlt sich harmonisch fließend an und ist ein wenig schweißtreibender als normales gehen. Hat etwas, solcher Art werde ich mich jetzt öfter locker machen.

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Apropos „schwierig“ – das ist out, „negative“ Wortwahl allgemein. „Herausfordernd“ klingt um Längen besser und wenn irgend etwas mal nicht ganz so gut lief, dann ist es nicht schlecht, sondern suboptimal, das klingt doch nicht ganz so Scheiße ungut… anbei ein netter Zeitungsartikel aus der „Wuppertaler Rundschau“ zu dem Thema. Der Zustand unserer Schwebebahn ist bekannt auch eher „herausfordernd“. Müßig, zu erwähnen, was ich davon halte, komme ich doch aus einer Zeit, in der noch Klartext gesprochen wurde und das gerne kräftig. Wenn ich dennoch danach strebe, negative Wertungen zu meiden, dann um der Reinheit meiner Seele willen, wozu allerdings auch gehört, die Dinge gelegentlich deutlich beim Namen zu nennen.

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Sonst so? Eine der ersten Erkenntnisse als frisch gebackener Stockerpel ist – das photographieren wird mit den Handschlaufen an den Dingern „herausfordernder“, was mich nicht daran gehindert hat, ein paar dunkle weniger helle Ecken des benachbarten Kiezes mal in schwarz-weiß festzuhalten. Hat auch etwas.

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Samstag, 200725

Die Stille draußen tut gut, es ist Urlaubszeit und viele Nachbarn aus dem Kiez sind scheinbar unterwegs oder müssen schlicht nicht raus. Wobei das mit dem unterwegs-sein ja so eine Sache ist, derzeit. Gut, nicht zuviel davon wahrzunehmen und schon gar nicht in die weite Welt. Sagt der Höhlenbewohner in mir. Gibt auch den Vagabunden, der sich gerne umschaut und frische Eindrücke sammelt, um sich vorzugsweise hier oder anderswo zu produzieren. Bekommt der Vagabund nicht die nötige Stimulanz, gibt er gelangweilt den Ball zurück an den Höhlenbewohner, der dann gerne im Inneren kramt, um das eine oder andere mutmaßlich vernünftige Wort zu digitalem Papier zu bringen. Wobei Vernunft immer relativ ist, nicht jeder Satz schreit nach ernster Wahrhaftigkeit, manchmal ist es auch die pure Freude am Wortgeklingel, am Schmäh oder am schrägen Humor.

Und so freut sich der Höhlenbewohner, dass er auch ohne ständige Stimulanz zurecht kommt und der Vagabund freut sich, einen festen Rückzugsort zu haben. Passt doch. Wenn die beiden einen guten Tag haben, treffen sie sich und gehen fein miteinander aus…

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Neulich, im Maisfeld

Inspiriert von Sweetkoffie`s Besuch an selben Ort haben die Liebste und ich heute den letzten gemeinsamen freien Tag dazu genutzt, uns dort ebenfalls mal umzuschauen. Das Labyrinth ist Teil des Hielscher Hofes, mit einer Menge Tieren, Hofladen sowie ein Restaurant.

Flauschige Gesellen, sehr sympathisch.

Was soll ich sagen, mein Orientierungssinn ist unterirdisch ausgeprägt, darum waren mir Labyrinthe immer schon suspekt, legen sie doch solcher Art Defizite gnadenlos offen. Rückblickend kann ich kaum glauben, dass ich bis 2009, als die eineinhalbjährige Pendelei von und nach Berlin begann, nur nach Karte Auto gefahren bin. Angekommen bin ich eigentlich immer, aber wie …

Also machen wir uns auf, die Vorgabe lautet, 9 Schilder zu finden und passende Fragen dazu beantworten, was nur mit Hilfe des Gelesenen geht. Alles so Themen aus der Natur, schon interessant, hat man alles erfolgreich bewerkstelligt, kann man an einem Preisausschreiben teilnehmen und eine Schachtel Eier, Korb mit Zeug oder sonstwas gewinnen. Wohlan…

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Es ist sehr warm, und schon nach kurzer Zeit wird klar, es ist, wie erwartet, nicht ganz so leicht, sich zurechtzufinden. Irgendwie wie früher, beim kiffen, alles grün und keinen Plan.

Mais ist ein seltsames Gewächs, mit Frisur wie die seligen Punks, und Füße dran, die erwarten lassen, verfolgt und ergriffen zu werden. Die Assoziation kann allerdings auch mit meiner derzeitigen Lektüre zusammenhängen, da bitte ich um Nachsicht.

Und los geht der Irrweg. Wir laufen auf`s Geratewohl hinein. Drehen Ehrenrunden, finden so nach und nach einige Schilder mit besagten Fragen. Die erste Stunde ist es noch ganz nett, dann, so langsam, sticht die Sonne und es wird arg warm. Die Ausblicke entschädigen zunächst …

Später dann – mittlerweile haben wir, wie Hänsel und Gretel im Wald umher irrend – 8 von 9 Schilder aufgetrieben und fein die Karte ausgefüllt. Nur Schild Nummer 3 ist unauffindbar. Eine Menge dummes Zeug geht mir beim umherlatschen auf dem staubigen, heißen Grund durch den Kopf… feine Hänsel und Gretel gäben wir ab, nach Tagen vergeblichen Umherirrens müssten wir erst einmal kräftig gemästet werden, um den kulinarischen Vorstellungen der ollen Hexe gerecht zu werden, ausgezehrt, wie man uns finden könnte. Weiter fällt mir ein Bett im (Mais-)Kornfeld und irgendwas mit Popkorn ein, was der Orientierung auch nicht gerade förderlich ist.

Irgendwo am Himmel kreisen ein paar Vögel, aha, denke ich, die Geier warten schon. Fernab bellt ein Hund … Leichenspürhund, geht mir durch den Kopf. So verdienen die also ihr Geld hier. Schicken nach Tagen die Töle in`s Feld, menschliche Überreste finden und mit erstandenen Kreditkarten die Hofkasse aufbessern. Schild Nummer 3 bleibt derweil unauffindbar.

Allmählich komme ich zu der Überzeugung, hier wird Gaslighting der übelsten Art betrieben, um uns so langsam in den Irrsinn zu treiben. Schild Nummer 3 ist bewusst entfernt worden oder wenigsten fahrlässig gestohlen, um uns Besucher kirre zu machen. Dafür haben sie andere Schilder doppelt, drei- oder sogar vierfach aufgestellt, so oft, wie wir sie finden. Von weiter weg dringt Gelächter zu uns, ja, lacht ihr nur, gerade frisch angekommen wohl. Das legt sich mit der Zeit. Pinkeln muss ich auch, was ich mir tunlichst verkneife, wäre zwar nicht zu sehen, aber mit Sicherheit zu hören, beim schiffen in die Botanik. Auch, wenn`s vielleicht eine kleine Orientierungshilfe wäre…

Und solcher Art demoralisiert verlassen wir nach ca. zwei Stunden den Ort der Verwirrung auf rechtem Wege und entschädigen uns erst einmal mit leckeren Essen, nebenan, im Restaurant, was Lebensgeister und Zuversicht wieder zurück bringt. Dann eben kein Korb mit Zeug oder sonstwas, war trotzdem ein guter Tag.

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Selbsthilfe & Corona – Update

Neue Regeln für “offizielle” Präsenz-Meetings (NRW): Teilnahme nur nach Anmeldung (?). Bekanntgebe des vollständigen Namens und der Adresse. Vermutlich, um dem Gesundheitsämtern die verwaltungstechnisch umständliche “Entschlüsselung” der Metadaten jedes Teilnehmers über die Mobilnummer zu ersparen. Wer unter diesen Bedingungen ein Präsenz-Meeting aufsucht, muss wissen was er tut. Nachzulesen HIER.  Mich bestärkt das in meiner Entscheidung, den offiziellen Präsenz-Meetings bis auf weiteres fernzubleiben.

Donnerstag, 200723

Wieder daheim, nach einer Woche Berlin, in Sachen Familie. Besondere Erkenntnisse:

  • Alternde Kater nehmen längere Abwesenheit persönlich und können trotz Grundversorgung tief beleidigt sein.
  • Jung-Katzen dagegen verwildern im Laufe eine Woche innerlich und äußerlich, ohne Kontakt mit einer Bürste und den Lieblingsmenschen.
  • Wohnungen verwildern in 7 Tagen ebenso erheblich, was erwartbar und alles in allem schnell behoben ist.
  • Aus gegebenen Anlass in der Familie – Wohnungssuche in Berlin ist ein Irrsinn. Ein teurer Irrsinn. Genau genommen ist der Preis mindestens der doppelte als im Tal der Wupper. Und die Nachfrage gefühlt die zehnfache … was desillusionierend wirkt, auf manche Pläne für das Alter.

Beobachtung am Rande: Banken achten die Kunst, fast ein jedes größere Haus hat irgend eine Plastik von meist zweifelhaftem Wert vor der Tür stehen. Den Vogel abgeschossen hat in meiner Sammlung allerdings die altehrwürdige (?) Investitionsbank zu Berlin. Ich meine, nix gegen Fülle, gerade weibliche, aber im Kontext mit Geld zu Geld machen, also eine Fruchtbarkeit und Vermehrung der besonderen Art, widert mich die gezeigte Kunst doch etwas an. Spricht sie doch für die eigentliche Absicht einer jeden Bank, lässt man alles schmückende Beiwerk mal weg: Fett werden, sonst nichts.

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Update: Die gezeigte Plastik nennt sich Yolanda, die Künstlerin war ihrer Zeit Miriam Lenk. Mehr von ihr gibt es hier zu sehen.

„Das Zentrum ihres Werkes bildet ein weiblicher Archetyp: groß und prächtig, raumgreifend und dominant. Dies soll eine Galionsfigur für alle Frauen sein, die sich in der Gesellschaft zu dick, zu laut oder zu anders fühlen.“

Quelle: Wikipedia

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Sonntag, 200719

Stille. Die werkfreien Tage laden um innehalten ein. Keine große Reise, nur wenige äußere Reize, Familie, Besinnung auf das wesentliche oder besser das, was ich dafür in dieser Zeit halte.

Gedanken über Gruppen-Zugehörigkeit, Sehnsucht nach Gemeinschaft. Derzeit fühle ich mich von den gewohnten Strukturen  – ja, wie genau – entfremdet, das passt am ehesten. Was bleibt, ist meine Zugehörigkeit zu der Schöpfung, zu meiner höheren Macht, zu meinem Gott. Kosmopolit passt vielleicht auch. Was trägt, ist das Gefühl, im Moment genau richtig zu sein. Viel mit mir allein und dennoch verbunden.

Sonst so? Interessante Botschaft am schwarzen Cafe zu Berlin … Schweigen = Verrat? Kommt auf den Kontext an, lohnt sich auf jeden Fall, drüber nachzudenken.

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Und ja, Sonntag ist auch…

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Win-Win

Die einen dürfen naschen, der andere ungewohnte Einblicke mit der Kamera festhalten. Vertrauen und vor allem Ruhe sind die Voraussetzung dafür – ich habe dem Mann eine ganze Weile fasziniert zugeschaut.

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