Sonntag, 240407

Es gab mal eine Zeit, da habe ich so Sinnsprüche verschlungen. Wie überhaupt alles, was nach Weisheit auf dem Weg der Heilung klang. Unter anderen auch die Geschichte von dem Typ, der in einer Gefängniszelle sitzt und aufgehört hat, an die Freiheit zu denken, sich nicht einmal vorstellen kann, wie das ist, nicht eingesperrt zu sein. Irgendwann stand sogar seine Zellentür offen, aber er wollte nicht hinaus. Fragt mich nicht nach der Quelle, die habe ich vergessen.

Wie frei bin ich denn, mein Gefängnis zu verlassen? Kann ich wirklich das eine oder andere transzendieren, auflösen, um dahinter weiterzugehen? Oder ist es am Ende doch nur transformierter alter Wein in neuen Schläuchen? Rückschau hilft und die Antworten sind nicht homogen. Ist das, was ich einst als Gefängnis meiner Selbst empfand, nicht zur Basis eines neuen Lebens geworden? Wie kann man von ständigen loslassen sprechen, ohne in die Falle des Verdrängens zu laufen?

Es geht wirklich, neuronale Netzwerke entstehen neu, neue Erfahrungen überschreiben zwar nicht die alten, sonst könnte ich mich nicht erinnern. Die Frage ist, wie erinnere ich mich. Fühlt sich etwas immer noch schambesetzt oder angstbehaftet an, oder spüre ich mit Blick auch mal weit zurück den ersehnten Frieden? Oder neige ich zum vergessen, weil sich das am leichtesten anfühlt? Die medizinische Entsprechung wäre dann am Ende die der Demenz.

Ich spüre keine Erlösung, aber Fortschritt. Und Neugier, das Leben ist spannend, auch mit Blick auf dich, der Du das gerade liest. Auch Du kommst irgendwo her, bist irgendwo und sehnst dich irgendwo hin, lässt die Resignation nicht gewinnen und lebst Hoffnung.

Dann wären wir schon zu zweit 🧑‍🤝‍🧑​ 🙂

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Zum Ende noch Lichtspiele eines frühen Frühjahrsmorgens. Immer nur für ein paar Minuten zu sehen, ich liebe es, die bildhaft festzuhalten.

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Mittwoch, 240228

„Hättest du gedacht, dass ich mal so sein kann“ – frage ich meinen Kollegen nach dem alltäglichen Geplänkel mit einem Dritten. „Du warst schon immer so“, sagt der. „Früher eher noch schlimmer“, schiebt er nach, steht auf und baut sich vor mir auf. Seine Füße konkurrieren mit den Augenbrauen im Zusammenstehen, er zieht eine Eins-A-Fresse, sein Kopf ragt bei gestrecktem Rücken deutlich über seine Schuhspitzen. „SO warst du“, sagt er. „Aber weiß du was? Ich hab dich trotzdem lieb, auch früher schon. Besser so als die verlogene Freundlichkeit manch anderer“.

„Weiß ich“, sage ich und grinse. „Eins ist dennoch anders als früher (man kennt sich fast 30 Jahre, mittlerweile). Hast du eine Ahnung, wieviel Angst ich mein Leben lang hatte?“, frage ich. Er schweigt – „Die hat mich so sein lassen, Angstbeißer, weißte. Und das ist heute anders. Heute steht mein Zorn für sich allein, wenn dann. Ohne die Angst dahinter. Fühlt sich richtig gut an“.

Noch besser ist gefühlt ohne alledem. Zeiten ändern sich, wer weiß.

Sonntag, 231203, erster Advent

Passt irgendwie in diese besinnliche Adventszeit.

Die weiße Wand

Für B., für alle anderen, die damit etwas anfangen können, und für mich zur Erinnerung.

Zweimal in meinem Leben stand ich vor den Trümmern meiner bisherigen Glaubenssätze, meines bisherigen Verhaltens. Nicht mehr weiter zu wissen, nicht mehr vor und zurück zu können, das waren die Merkmale dieser Lebenslagen. Kapitulation, wie man sagt – ich habe aufgehört, zu kämpfen.

Das erste Mal war vergleichsweise überschaubar, es ging um nichts weniger als um weiter leben oder langsam zu sterben. Natürlich ist das Leben an sich ein langsames Sterben, es kommt halt ganz auf die Qualität dessen an. Dazu kam, dass sich mein mögliches Ende durch mein Verhalten enorm beschleunigt hatte – Alkohol- und Drogen-induzierter geistiger, emotionaler und auch körperlicher Verfall ließen irgendwann eine Entscheidung unerlässlich werden. Ich durfte mich für das Leben entscheiden, ohne einen Plan, ohne die geringste Vorstellung davon, wie ich dies trocken, abstinent und klar im Kopf, zumindest im Sinne von chemischer Unklarheit bewerkstelligen sollte.

Dies war wirklich vergleichbar mit einem Raum, aus dem ich sämtlichen alten Krempel auf die Straße schmiss, anschließend neu strich, um dann rat- und planlos vor der weißen Wand zu sitzen. Du musst jetzt raus, irgend etwas unternehmen. Versuch und Irrtum ist die einzige Wahl, wenn man keinen Plan hat. Was folgte, war eine Art Auslese. Dies möchte ich nicht, das ist nichts für mich, aber hier fühlt sich etwas gut und richtig an, also geht es da weiter. Gewähr? Gibt es keine, dafür ein unbestimmtes Gefühl von Vertrauen und Schutz, von Beistand. Bild- und namenlos, vielleicht eine Kraft, die mir immer schon beistand, ohne dass ich ihr gewahr wurde. Jedenfalls erwies sich dieses ungewohnte Gefühl als überraschend tragfähig.

Das zweite Mal war scheinbar komplizierter, auf jeden Fall vielschichtiger. Es ging um nichts weniger als meine erlernten Beziehungsmuster. Zunächst zum anderen Geschlecht und – 10 Jahre zeitversetzt – auch zum eigenen Geschlecht (was eine Geschichte für sich ist).

Ich hatte irgendwann wirklich alle Varianten des mir Vertrauten durchlebt. Ihnen gemeinsam war das Grundgefühl, nicht zu genügen, stets im Mittelpunkt von Wertung und Urteil zu stehen. Ablehnung, wechselseitige Erhöhung und Erniedrigung, Machtspiele in allen Farben. Und – bei alledem Beistand um jeden Preis, gleich wie gruselig es sich auch anfühlen mag. Damit meine ich nicht jene Treue und Beständigkeit, die beide den Boden für jede Beziehung bilden, sondern die eher degenerative Variante dessen, Vasallentreue vielleicht. Was lässt in solchen Lagen verweilen, was lässt Menschen aneinander „kleben“, die sich alles andere als gut tun? Im Grunde ist es nur die Angst vor etwas vollkommen Neuen, gerne in Kombination mit der Angst vor dem allein sein. Die Angst vor der weißen Wand, gepaart mit dem Unvermögen, sich vorstellen zu können, wie es sich anders anfühlen mag. Das Alte ist zwar leidvoll, aber wenigstens vertraut. Scheiße hält halt warm, wie schon kleine Kinder wissen.

Bis auch hier irgendwann der Leidensdruck zu groß wurde. Bis die Vorstellung von einem so genannten Single-Dasein keinen Schrecken mehr verbreitete, sondern im Gegenteil eine erlösende Variante zu sein schien. Bis ich für mich ganz klar hatte – so wie gehabt nie wieder, dann lieber allein. So wirklich allein fühlte ich mich zu dieser Zeit schon lange nicht mehr, unabhängig von meinem jeweiligen Beziehungspartnern. Dieses innere „verlorene Kind“ schien irgendwie Halt gefunden zu haben. Ich kann das bis heute nur schlecht beschreiben. Die Worte Hoffnung und Zuversicht auf und für etwas völlig Unbekanntes beschreiben es am nächsten.

In der Folge durfte ich mich von allen mir vertrauten und bekannten Vorstellungen einer „Partnerschaft“ – ein Wort, das heute für mich eher zur Geschäftswelt passt – zu verabschieden. Wobei „Partnerschaft“ in Beziehungen, auch in meinen vergangenen, durchaus etwas von Handel hat, hatte. Die weiße Wand, die totale Leere, in der nichts unmöglich scheint, war auch hier die Grundvoraussetzung für wirkliche Veränderung.

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Nachtrag: Das Gleichnis der weißen Wand scheint ein guter Weg, der eigenen Endlichkeit besser ins Auge sehen zu können.

300 Worte an einem Regensonntag

Folgender Eintrag ist Teil von Christianes Schreibeinladung.
Maximal 300 Worte mit „Horizont – kleinkariert – eintreten„.

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Ein unrasierter Windsonntag mit Kopfweh, wahrscheinlich von der schlechten Luft gestern Abend in der Gaststätte, die dem Hungrigen schon beim eintreten entgegenwabert. Der Treff mit den Freunden ist dagegen mehr wert als jede frische Luft, sei es drum.

Das schreiben fällt gerade nicht leicht, die Worte fließen nicht so wie sonst, zu viel der Logik, der Worte, zu schmal die Brücke zum Gefühl. Andernorts sichere ich nach und nach Blogeinträge. Das mache ich auch mit der kompletten Datenbank, an der ich im Gegensatz zu hier die vollen Rechte habe. Ich sichere über die PDF-Druckfunktion, das dauert, aber alles bleibt frei lesbar erhalten, alle Hyperlinks, die mitunter zum Verständnis wichtig sind, ebenso alle Bilder. Wer nach mir hat schon Interesse an einer WordPress-Datenbank, die nur mit einigem Wissen auch offline lesbar gemacht werden kann? Manches Geschriebene kommt mir im Nachgang nicht gerade kleinkariert, aber teils sehr oberflächlich vor. Spricht für eine geänderte Zeitqualität.

Es tut sich etwas. Ich möchte aufräumen, es gibt ein Ziel, der Umbau eines Zimmers hier. Dort steht ein großes, fein abgedecktes Werkzeugregal, das muss fort. Verschließbare und wasserdichte Boxen für den Keller müssen besorgt werden, Platz für eben jene muss geschaffen werden, Sachen entsorgt werden. So viel Ballast aus vergangenen Zeiten kann weg, auf dass der Horizont wieder besser zu sehen sein wird.

Kleine, aber feine Änderung – ich habe es getan, bin seit einiger Zeit Spotify-Kunde. Und so läuft immer weniger Radio (ich kann die Nachrichten nicht mehr gut ertragen), dafür mehr Sachen für das Herz. Bach, Beethoven ebenso wie klassischer Rock, je nach Stimmungslage. Und – Mensch erinnert sich an längst vergangene Zeiten, in denen auch Krieg unter den Menschen herrschte. Den habe ich mir friedlich gesoffen, was heute nicht mehr geht. Aber – Schönes bleibt, und so läuft Reggae, gerade der Yellowman, rauf und runter.

*Genau 300 der Worte, darf mitspielen* 🙂

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Sonntag, 230108

Neuanfang, geht das? Wobei doch rein äußerlich alles beim alten zu bleiben scheint. Sich wieder einmal neu erfinden? Da steckt finden drin, heißt also, ist schon da, es bedarf nur noch ein wenig Licht und Muße, es anzuschauen. Nur für heute, heißt es. Und doch gilt es für jeden Tag.

Der Maßstab meiner Reife ist der Grad, in dem ich Verantwortung für die Bewahrung meiner spirituellen Verfassung übernehme. Dies wird heute meine erste Priorität sein.

https://narcotics-anonymous.de/artikel/nur-fuer-heute/

Morgen geht es für mich wieder in den so genannten Alltag. Etwas anders machen, obwohl de facto alles gleich bleibt? Gilt im übrigen nicht nur für die Arbeit, auch für jede Form von Beziehung. Ich möchte meine innere Freiheit bewahren und mich weiterhin geborgen(er) fühlen, ganz gleich, wie andere sich mir gegenüber aufstellen.

Ein schönes musikalische Fundstück dazu 💓 

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Manche Nächte

Es gibt sie immer noch, diese Nächte. In Zeiten der Veränderung werden sie vorübergehend etwas zahlreicher. Nächte, in denen ich mehrfach aufwache, mir die ungebetenen Besucher anschaue. Eine Weile mit offenen Augen wach liege und in die Stille horche, weil sofortiges wieder-einschlafen nur eine Fortsetzung der Aufführung bedeuten würde.

Bildhafte Relikte eines Egos, das sich gerade von seinen bisherigen Aufgaben zu verabschieden scheint.  Sich an seine neue Rolle erst einmal gewöhnen darf. Und da Trennung immer mit einem energetischen Ungleichgewicht verbunden ist, schickt das solcher Art beschnittene Ego zum Abschied noch eben solche Bilder.

Schwarzer Rauch, aus der Erde aufsteigend
aus dem sich Gestalten formieren
auf der Suche nach einem Wirt
Prozessionen von Besessenen
langsam ohne Ziel wandernd
stets das Äußere verändernd
schwarze Magie

Bilder des Egos, das zum Abschied von der gewohnten Rolle, so scheint`s, noch einmal Macht demonstrieren will. Kannst uns kaufen, kichern sie leise. Da gibt es etwas, womit wir Dir Frieden schenken …komm`, besänftige uns, mach`s einfach so wie die Millionen anderer um dich herum und nehme etwas ein…

Sie gewähren lassend, weiß ich heute um eine Kraft, die größer ist als diese vielen schwarzen Schatten, die über die Angst so gerne ihre Macht demonstrieren. Eure Zeit ist vorüber. Früher oder später werdet ihr keinen Wirt mehr finden und weiter ziehen müssen.

Ihr seid nicht der Herr.

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