Worte zum Bild – Streifzüge

Dieser Eintrag ist Teil von Myriades Impulswerkstatt Juli-August 2023. Es stehen vier Bilder zur Wahl und es warten zwei so genannte Mosaikbausteine darauf, sich irgendwo im Text wiederzufinden. Hier nun „Erbsen“ oder „Spinat“ und „vergraben sollte sie werden“.

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Streifzüge

Wenn tief in mir Dunkelheit heraufzieht – dann, aber natürlich nicht nur dann – überkommt mich Bewegungsdrang. So streife ich beizeiten ziellos durch die Straßen und schaffe es nach einer Weile, den Verkehrslärm und die vielen anderen Eindrücke der Menschen um mich herum zwar noch wahrnehmen zu müssen, aber ausblenden zu können. Der stetige Gang, die Schritte, welche ich mit Steigungen oder Gefälle leicht in ihrer Frequenz ändere, die dazu angepasste Atmung, all dies zentriert ungemein. Geniale Mischung – Kräfte sammeln und sich zeitgleich verausgaben.

Beim gehen denke ich an einem uralten Film. Lola rennt – die 90er lassen grüßen. Das wäre was, einfach mal zurück spulen und so ein paar Kleinigkeiten anders machen. Klappt im Film hervorragend, leider aber auch nur dort. Vergraben sollte sie werden, die Vergangenheit, sagen manche. Dann kann es auf wunderschönen blumigen Auen arg nach Kacke müffeln, haarfeine Erdspalten lassen grüßen. Oder Mensch macht kompensatorische Karriere, zählt mit Hingabe Erbsen und frisst büchsenweise mentalen Spinat wie einst Popeye. Nix gegen mentalen wie realen Spinat, kommt halt immer drauf an, wofür. Hier nun stinkt es aus dem Tiefen der Erde bald nach krankem Ego, blutigen Ellbogen, nach zu viel Analyse und zu wenig Gefühl.

Und so gehe ich weiter, nehme den alten Mist der Vergangenheit als Dünger für die Beete der Gegenwart, spüre meine Füße, meine Beine, meinen Atem, alles. Gestatte dem Dankbarkeitsregenwurm, das Ganze zwecks besserer Erschließung gut zu lüften. Freue mich über meinen Bewegungsradius, wohl wissend, dass die Läufe sich einst mehr und mehr nach innen verlagern.

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Freitag, 221111

Ein Stadtbesuch am späten Morgen, das im Auftrag gegebene, gerahmte Bild vom Vater abholen. Es ist angesichts der dürftigen Vorlage gut geworden und der Rahmen wirkt edel, aber dennoch schlicht. Wo gibt es Trauerflor – auf Umwegen lande ich in einem Blumengeschäft und erstehe einen Meter samt einem kleinen Stück Bindedraht. Es soll schon nach was ausschauen.

Passende Klamotten. Es hat eine schwarze Jeans, die seit Jahren schon nur für solche Anlässe im Schrank hängt. Ich mag sie nicht, eben wegen ihrem Verwendungszweck. Außerdem hat sie keine aufgesetzten Taschen für meine zahllosen Kleinigkeiten. Dafür liebe ich meine Cargo-Hosen, habe aber keine in schwarz und außerdem sind die alle böse verschossen. In den großen Läden hängt nur der übliche Kram, eine schaut so aus, als könnte sie was sein. Ich suche schwitzend und innerlich fluchend eine Umkleide, am anderen Etagenende werde ich fündig. Nebenan zieht sich eine Dame um und diskutiert währenddessen mit einer draußen wartenden Freundin. Nie hätte ich gedacht, dass ein Mensch so viel Geräusch und Nichtssagendes in so kurzer Zeit von sich geben kann. Im meinem Kopf sitzt in einer Ecke einer, der schräg belustigt ist und ihm gegenüber auf der anderen Seite ein anderer, der meint, kann die nicht mal die Fresse halten. Die Hose passt zwar, fühlt sich aber lappig an und außerdem stehe ich angesichts der warmen Luft voll im eigenen Saft.

Schnell raus da, ohne Hose.
Also schon mit der eigenen, nicht ganz ohne.

Es gibt einen Outdoor-Laden, aber der ist weit weg und ich spüre meine desolaten Knochen bereits. Außerdem ist der überteuert, dazu kommt, das heute jeder Rentner Markenklamotten von sagichnicht trägt. Zwar bin ich mittlerweile 60, aber so weit isses dann doch noch nicht. Mir fällt so ein Emo-Laden ein, der hatte zumindest früher mal neben dem üblichen Headshop-Kram und Tattoo-Metallsammlung auch interessante Klamotten. Den also suche ich auf, vor mir sind allerdings zwei Mädchen schneller. Eine trägt eine Maske und wird prompt von dem großmäuligen offensichtlichen Geschäftsführer angegangen. Könne sie abnehmen, würde nur schlechten Atem machen, die Zeit sei vorbei und im übrigen nie wirklich dagewesen. Ein distanz- und respektloses Arschloch wie aus dem Lehrbuch. Gerade will ich mich umdrehen und gehen, da tönt der zu mir herüber – was kann ich dir den antuen? Ich trage im übrigen auch eine Maske, habe keine Lust mehr auf Geschäfte mit dem Arschloch und schon gar keinen Bock auf fruchtlose Diskussionen mit ebensolchen. Schon gut, sage ich und verschwinde.

Dann wird es halt die ungeliebte schwarze Jeans sein, eine schwarze Weste dazu, die packt auch so einiges. Es ist nicht wichtig, und wird immer weniger wichtig, wenn ich an Vaters Haltung zu Mode aller Art denke. Ein Jogginganzug wird es jedenfalls nicht sein, auch wenn ich nie Kontrolle über mein Leben hatte.