Samstag, 220827

Ein freier Samstag-Nachmittag, nach den üblichen Verrichtungen in Sachen Haushalt und Eltern. Allein mit zwei Katzen und unternehmungslustig, also raus. Nach Auto fahren steht mir nicht der Sinn, das ganze Umhergegurke die Berge heraus und herunter reicht mir und so fahre ich mit der Bahn zur Müngstener Brücke. Die feiert sich gerade selbst, nach langjähriger Restaurierung. Von oben sieht man eine Menge Menschen rund um das Haus der Lebenshilfe in seinem rostroten Kleid.

Erinnerungen werden wach, das war vor 30 Jahren mal mein Arbeitsweg. Und noch mal 10 Jahre zurück – Müngsten, das waren damals zwei verkomme Parkplätze, in deren Umfeld öfter schon Mal Übles passierte. Verruchte Gegend, hin und wieder dümpelten Leichen im stinkenden Wasser und die gleich unter der Brücke platzierten Andenkenbuden hatten gelegentlich Löcher in den Dächern, wenn wieder wer von der Brücke sprang. Und – es gab das Exit, da, wo jetzt das rostrote Unding steht, ein wurm- und schwammstichiges Fachwerkhaus, das am Ende nur noch zum Abriss taugte. Der Ort, um sich am frühen Sonntag Morgen den Rest zu geben, so man denn noch irgend einen Plan hatte, wieder aus dem Loch heim zu kommen. Alles Geschichte, heute ist dort der Brückenpark und die Dachdecker kommen dem Vernehmen nach auch nicht mehr so häufig.

Viel zu sehen gibt es nicht, vor der Rostlaube wird gesetzt musiziert, mit geladenen Gästen, und so mache ich mich wieder auf dem Weg, erwische einen Bus nach Remscheid und von dort eine S-Bahn zurück nach Wuppertal.

Impressionen von Brücke und Bahnhof Güldenwerth zu Remscheid.

Bahnsteig-Panorama

Wieder im Tal der Wupper mache ich Rast in einem mutmaßlichen Geldwäsche-Laden. Ich bin der einzige Gast, der Wirt ist sehr sorry wegen dem nicht mehr vorhandenen Bändel am Teebeutel (Löffel zum rausfischen liegt dabei), die Wasserflasche kommt ohne Glas, aber die Pizza schmeckt. Mittlerweile ist es kühl geworden, ich ziehe mir mein Psalm-23-Sweatshirt über. I will fear no evil. Stimmt zwar nicht ganz, aber die Botschaft hat was. Denken auch andere, wie verstohlene Blicke mir sagen. Scheint nicht nur zu mir, sondern auch in die Zeit zu passen.

Und so laufe ich durch das samstägliche Gewusel, denke an einen Kommentar, den ich heute Abend geschrieben habe. Vom gefühlt dazu-gehören oder eben auch nicht. Vom sich-verloren-fühlen und von Geborgenheit. Vom all-eins-sein und vom heil werden. Denke an die zahllosen Spiegelbilder in meinem Leben. Die Liebste fällt mir ein, die gerade in Sachen Familie ihr Bestes gibt, damit ein paar Kinder eben nicht mit so einem Lebensgefühl umherlaufen müssen. Wäre gern dabei, aber mal eben frei machen, wenn ich so wie jetzt in einem längerfristigen Projekt stecke, das geht nicht.

Oder ganz frisch der Typ in der Bahn, mir gegenüber, der mit seinem Zeug zwei Plätze in Besitz nahm. Finstere Miene, die sich (synchron mit der meinen) erhellte, als eine junge Mutter ohne groß zu fragen Platz machte, für sich und ihre kleine Tochter. Öffentliche Verkehrsmittel haben einen gewissen therapeutischen Wert und eignen sich hervorragend für Milieustudien aller Art.

*

Drabble Dienstag, 220823

Abwehr
Stock
Ruine
Fortsetzung vom 16. August

Wie gebannt schaut sie die Bilder, unfähig, sich zu bewegen. Die Worte ihres Therapeuten hallen nach, mit den Ruinen ihrer Vergangenheit abzuschließen, sie möge in der Gegenwart verbleiben und nicht über jeden Stock springen, den sie sich selbst in den Weg legt. Schweißgebadet wendet sie den Blick von dem Kistchen.

Noch voller innerer Abwehr gelingt es ihr, sich einige gute Augenblicke der jüngsten Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, nach der Trennung. Und wieder berührt sie sanft das glatte Holz und schaut erneut hinein. Das kleine Kunstwerk antwortet ihr, wie das Universum antwortet, die Bilder werden allmählich heller und weniger bedrohlich.

Montag, 220822

So ein Datum reizt irgendwie zum schreiben, wenn es auch nur wenig ist. Viel hat so ein Montag Morgen ja in der Regel nicht zu bieten, außer wieder früher Wecker und dem rufen der Pflicht. Früh und spät ist eh relativ. Kalendarisch war ich oft zu früh, mit meinem Geburtstag Anfang Juni. Immer der Jüngste in der Klasse, dafür hatte ich den Unsinn zum 16ten Geburtstag hinter mir. Punkt 19 war ich Facharbeiter und wurde ungewohnt gesiezt. Mit 25 musste ich noch in gewissen Etablissements meinen Ausweis zeigen und selbst heute sehe ich in staunende Augen, wenn bei mehr oder weniger Unbekannten die Rede auf mein Alter kommt.

Gefühlt sieht das schon anders aus. Und bei Scheiß-Licht sowieso. Faltentango am Hals und an den Augen, je nach Kopfhaltung darf gemutmaßt werden, ob da nicht doch ein Truthahn in der Ahnenlinie war. Überhaupt gefühlt – gefühlt war und bin ich mit allen möglichen Erfahrungen eher spät dran. Das man seinem Körper, seinem Geist und seiner Seele ein Mindestmaß an Achtung schuldet – darüber wurde ich knapp 38. Vom Umgang mit dem anderen Geschlecht lässt sich ähnliches sagen. Alles dauert länger bei mir und verinnerlicht wird erst, wenn es richtig weh tut. Vorteil des älter-werdens: Tun könnte. Manchmal ist sogar der Konjunktiv mein Freund.

So. Nette Zeilen zum Thema Selbstüberschätzung und frühes aufstehen, Danke Roman 🙂

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Samstag, 220820

Keine großen Worte heute, dazu sind die Augen zu müde. Neben den üblichen samstäglichen Beschäftigungen blieb Zeit für eine kleine Runde durch die Stadt, auch wenn diese für weitere Beschaffung von Wäsche für Vater diente. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Gegenzeichnung eines „Notfallplans“, der im wesentlichen eine Kurzform der Patientenverfügung darstellt und den ich nach besten Wissen und Gewissen ausgefüllt habe.

Wenn sich mal wer ins Tal der Wupper verläuft – best Eiscafe ever gibt es hier. Belohnung für getane Einkäufe und Motivation für angedachte Freizeitaktivitäten. Eiscafe hat einfach alles, was es dazu braucht: Fett, Zucker, Koffein. Nehmt den Großen.

Bilder mit grün.

Freitag, 220819

Nachtruhe Triple A, mit „+“:
Arbeit, Altenheim, Autolärm (draußen)

Gedankenkarussell ab Mitternacht, kapituliert um 2.30 und aufgestanden. Lose Fortsetzung zwischen Vier unf Fünf. „+“? Ego-Auswüchse und Emotionen, meinen Vater betreffend, für die ich mich im ersten Moment schäme um sie hernach gut sein zu lassen.

Arbeit und Altenheim haben etwas gemeinsam: Alles geht drüber und runter. „Anlaufschwierigkeiten“ in Sachen Wäsche. Mittagstisch in Unterhose. Nachschub an Wäsche ist besorgt, die geht jetzt erst mal zum kennzeichnen, „patchen“, sagen sie. Großwäscherei, die braucht das so. Dauert zwei Wochen. Ist ja noch Sommer. Menschenwürde? Nicht mehr so wichtig. Irgend eine Hose findet sich beizeiten, gestorben wird immer und wer mit Zettel am Zeh die Unterkunft verlässt, vermacht der Einrichtung öfter mal Klamotten. Das ist dann besagter „Fundus“. Pragmatismus können sie.

Vaters psychischer und physischer Zustand: Unterirdisch. Sterben kann endlos lange dauern, wenn Mensch zeitlebens kerngesund und außerordentlich zäh war. Schmerzmittel? Muss der Arzt verordnen. Der Arzt hat viel zu tun. Fazit: Wer Schmerzen hat, muss eine Menge Lärm schlagen, damit der Klinik-Bereitschaftsarzt gerufen wird. Das geht möglicherweise schneller. Mutter und ich sind uns einig – wir hätten beide nie gedacht, mal darum zu beten, dass Vater sterben darf. Vorherrschendes Gefühl meinerseits: Machtlosigkeit, Ohnmacht, in unterschiedlichen Schärfegraden gewürzt mit Wut. Und Trauer. Was für eine Mischung.

Update: Gerade eben rief mich der behandelnde Arzt an, aus der Einrichtung. Es war ein offenes Gespräch, Vater bekommt Schmerzmittel und Salzlösung über die Bauchdecke. Wir sprachen über Vaters Krankengeschichte, die Patientenverfügung, was zu tun bzw. zu lassen sei. Dass nach Möglichkeit weitere Krankenhausaufenthalte zu vermeiden sind. Auch verordnet er auf meine Bitte hin Ergo- und Physiotherapie, um Vater soweit möglich wieder etwas beweglicher zu machen. Spricht für den Arzt, abends um 8 noch die Angehörigen von Patienten anzurufen.

Und sonst?

Warme Sommernächte hängen mir allmählich zum Hals heraus. Stumpfes schlafloses Umhergewälze und draußen brettern nicht nur die osmanischen Prolls mit ihren PS-Boliden den Berg hoch, im Ersten. Schiebedach offen, es plärrt. Königsklasse: Auf der Kreuzung stehen bleiben, aussteigen, Kumpels treffen und quatschen, unter meinem offenen Fenster. Ausfällige Gedanken im Kontext mit Katzenscheiße verhindern einmal mehr eine gesunde Nachtruhe.

Das hier ist die Dauerbeschallung auf Arbeit. Die Spitzen alle ca. 12 Sekunden? Das ist der Kollege draußen an der Einlegepresse. Er ist nicht der Schnellsten einer, was den Sound nicht besser macht. Nur langsamer. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Tag und Nacht besteht für mich in der Farbe der getragenen Otoplaste.

Von wegen Lärm: Der hier darf das. Offiziell bestätigt. Freie Fahrt für freie Bürger. Hauptsache, der Rest spart schön.

Tschüss.

Drabble Dienstag, 220816

*

Der kleine Kasten ist aus dunklem Edelholz gefertigt, mit einigen wenigen sauber eingearbeiteten Intarsien, Zeichen einer längst versunkenen Sprache. Was man auf Trödelmärkten so alles findet, denkt sie, und schaut durch die Sehschlitz-ähnliche Öffnung in das halbdunkle Innere des ansonsten geschlossenen Kistchens.

Langsam gewöhnen sich ihre Augen an das Dämmerlicht, ihre geweiteten Pupillen geben die Sicht frei auf die sich allmählich aus Umrissen formenden Bilder. Was sie sieht, lässt ihr Blut gefrieren, Szenen aus ihren schlimmsten Träumen tun sich auf. Spiegelbilder ihrer Emotionen, das spürt sie atemlos, während sie langsam den Fokus ändert, die Füße fest auf die Erde gestellt.

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Sonntag, 220814

Schlaflos bei molligen 28 Grad.

Gedankenkreisel, der gestrige Tag. Eigentlich ist alles in Ordnung, der Tag lief alles in allem wie geplant. Wäre da nicht die extrem kurze Zündschnur, was andere Verkehrsteilnehmer angeht. So stelle ich meinen Kleinstwagen in die allerletzten Mini-Lücken, im Kiez Alltag, in der bürgerlichen Nachkriegssiedlung meines Geburtsortes sorgt das für Empörung. Kommt mir gerade recht, da darf ich üben, die Fassung zu bewahren, mit meiner 87-jährigen Mutter neben mir. Allein wäre das möglicherweise anders abgelaufen.

Gottverdammter Stadtteil, ich komme nicht davon weg. Hier bin ich aufgewachsen, hier hat alles seinen lokalen Ursprung. In eine paar Stunden fahren wir wieder dorthin, diesmal liebe Freunde besuchen, die etwas außerhalb, aber immer noch in diesem Kaff wohnen. Ich mag sie sehr, darum nehme ich eine weitere Fahrt entlang der engen, miefigen, mit klebriger Erinnerung behafteten Straßen in Kauf.

Neulich hob wieder jemand Geld ab, am Automaten. Unkonventionell und nicht gerade leise, mitten im „Zentrum“ von dem Dorf. Das ist nicht fein, nein, und ein übles persönliches Saldo rechtfertigt auch nicht den gestörten Nachtschlaf sowie manch schiefhängendes Bild der Eingeborenen oder Zugezogenen dort. Und für mein Ego ist es auch herausfordernd, meine erste Reaktion war der Gedanke, dass wieder unsägliche Idioten am Werk waren. Tiefbegabte Möchtegern-Verbrecher, nehmt mehr Sprengstoff, dann hat sich jedes Parkplatzproblem schnell erledigt. Jagt das ganze Dorf hoch, dann gibt es auch fein Platz für die 2031 geplante Bundesgartenschau.

Und nein, ihr könnt alle nichts dafür. Die historisch leicht inzestuös veranlagten Dörfler ebenso wenig wie die die dusseligen Pseudo-Banditen, vom Vollmond fange ich jetzt mal gar nicht an. Ist nur meine eigene Gereiztheit, meine Schlaflosigkeit, die unter anderen solch grenzwertige Blogeinträge produziert.

Ich gehe jetzt meditieren und dann Brötchen holen. Danach meditiere ich weiter, solange, bis die potentiell üblen Schwingungen der anderen Brötchenholer sich von meinen eigenen getrennt haben. Zwar werde ich sie nicht alle lieben können, aber irgendwo muss ja angefangen werden.

I’m a loner in a claustrophobic mind

Freitag, 220812

Angebrütet. So fühle ich mich gerade, unmittelbar nach meiner freitäglichen Lieblingsbeschäftigung – Wohnung saugen. Ist eh schon warm hier, jetzt noch ein wenig wärmer. Sachen stehen noch umher, auch der Tisch wartet darauf, wieder an seinen Platz gestellt zu werden und ich warte darauf, dass das Gekatze die ungewohnt freie Fläche räumt, damit das Tischchen wieder Normalgewicht bekommt. Sonst nehme ich es, wie es ist, mit der Schönen obendrauf, die währenddessen stur sitzen bleibt. Jetzt nicht, ist warm.

Vollmond ist auch. Supermond, heißt es. Mir reicht der normale Vollmond schon, fängt der auch noch an, mit Superlativen. Aufgeblasener Trabant, mir reicht deine Normalgröße völlig, Wasser- und Träumeschieber.

Ich könnte jetzt Lokalzeit gucken, bergisches Klein-Klein. Das lasse ich, weil ich gerade eine sinnarmen Eintrag schreibe und weil mir diese Stadt wegen dem ausgefallenen Urlaub gerade ein wenig zum Halse heraus hängt. Die gegenwärtige Wurschtigkeit und das latente mich-angepisst-fühlen muss wohl auch mit dem dicken Ding da oben zusammenhängen. Die Liebste trifft eine Freundin. Meine Freunde haben alle keine Zeit, haben Arbeit und Familie, so wie ich auch. Oder wohnen sonst wo, jedenfalls zu weit weg. Außerdem ist morgen Samstag, da kann ich ausschlafen, stehe erst um 5 statt um 3.20 Uhr auf (grinst da wer?). Morgenroutine, dann einkaufen. Anschließend Mutter besuchen, dann Mutter mitnehmen zum Vater ins Heim. Wochenende fängt bei mir so gegen Zwei an, dann bin ich meist wieder hier.

Vater hat Humor, so zwischendurch jedenfalls. Ich solle doch nicht auf irgendwas verzichten, nur um ihn zu besuchen, meinte er neulich. Is klar, Vatter, als du so alt warst wie ich jetzt, ging die große Reise los. Neidisch? Nein. Möchte nur mal aus der Stadt raus, fürn paar Stunden, bin ansonsten gern zuhause. Und ich erzähle auch niemanden, wie ich mich fühle, wenn ich um 3.20 aufstehe, um 6 anfange, zu werkeln um 2 schnell dusche, um danach zum testen zu fahren und anschließend schön mit 30 Km/h (höchstens) über die A46 zu dir, weil du mir verdammt noch mal leid tust. Weil ich mich dito über Besuch freuen würde, wenn ich so am Arsch wäre wie du. An Tagen wie diesen bin ich um halb Acht im Bett. Mach ich auch nur einmal die Woche, zu mehr reicht es bei mir nicht.

Selbstmitleid? Auch was, ist nur der Scheißmond. Und außerdem bin ich es jetzt los, Blogland ist geduldig und Freitag Abend ruht hier eh still der See. Wer dennoch mitliest, darf sich seinen Teil denken und es besser machen. Wobei ich das alles schon gut mache, für mich. Ich bin ja auch nicht meine Leser 🙂

Bevor ich mich jetzt noch weiter emotional und verbal versteige, höre ich mal lieber auf. Die Schöne ist auch wieder vom Tisch, der Rest vom Budenzauber kann Ballast-frei beseitigt werden.

Schlusslied: Einer singt, ein anderer schreibt.

Ok, einer geht noch. Wenn schon dem inneren Kind via Ablenkung der nackte Arsch gezeigt wird – mein letzter „Therapeut“ sprach in dem Zusammenhang von der „kalten Schulter“, aber die hat gerade schön warm – also wenn schon, dann denn schon …