Sonntag, 210131

Der Tag beginnt mit Kopfweh und Niedergeschlagenheit, eineinhalb Liter mit Ingwer versetzter grüner Sencha verdünnen das Blut und die Über-Kopf-Übungen lassen das Kopfweh in den Hintergrund treten. Das Radio läuft leise, in allen Räumen derselbe Sender. Zeit für die Kirche, ich höre, dass Paulus alles schuld sein soll, im Sinne der Abkehr von der reinen Lehre Jesu. Mir gleich, denke ich, so kompliziert mein Seelenleben und so verworren meine Lebensgeschichte auch sein mag, so simpel und einfach ist mein Kinderglaube.

Viel Spektakuläres gibt es nicht zu berichten. Das Leben fordert mich derzeit eher im Stillen, aber dennoch ausgiebig. Die Eltern – sie brauchen was anzuziehen. Einkaufen ist für sie schon in „normalen“ Zeiten aufgrund ihrer Gebrechen schwierig bis unmöglich. Also bewaffne ich mit Laptop und Phon als Hotspot zur Shopping-Tour. Weil es nicht anders geht. Es hat etwas befremdliches für mich, wenn die Grenzen verwischen, wenn ich in intime Lebensbereiche eindringe, eindringen muss.

Stille Lektionen auch anderenorts. Im Austausch mit meinesgleichen werde ich mir meiner selbst bewusst, im Sinne des vierten und fünften Schrittes der anonymen Alkoholiker. Rücke auch mir näher, der alte Zauber wirkt immer noch und immer wieder, im kleinen Kreis ebenso wie in einer größeren Runde.

Nicht nur hier arbeitet es eher im Verborgenen. Die Familie hat wieder einmal Nachwuchs, die Liebste ist vierfache sechzehnfache (wir haben gerade der Wahrheitsfindung wegen gemeinsam auch den äußeren Kreis mit einbezogen und sorgfältig durchgezählt) Großtante geworden. Ich nehme auf meine Weise Anteil, freue mich für alle an diesem existenziellen Vorgang Beteiligten über die gelungene Schlüpfung. Was wirklich zählt, abseits mancher unerfüllbaren Sehnsüchte – hier schimmert es durch. Geburten, Todesfälle und die Intensität der Zeit dazwischen. Einfach Leben.

In dem Sinne…

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Dienstag, 210126

Impftermine für die Eltern zu organisieren entwickelt sich zur Geduldsprobe, aber immerhin erfolgreich, online zumindest. Wenn auch nicht für beide an einem Tag. Anamnese- und Infobögen dagegen sind von der kassenärztlichen Vereinigung derzeit nicht zu beziehen. Deren Performance ist sowieso unterirdisch. Das RKI dagegen bietet auch solche Formulare an, hier. Sogar interaktiv, zum ausfüllen auf dem Schirm.

Sonst so? Den Kontrast dazu bieten mir Menschen, die die Corona-Schutzimpfung im gleichen Atemzug mit Folter und Menschenrechtsverletzungen nennen. Ich möchte ihnen zur Begriffsklärung einen längerfristigen Aufenthalt in Nordkorea, Belarus oder meinetwegen auch in China empfehlen, was ich aber lasse. Sein lassen ist in dem Kontext oft besser, weil mir meine Zeit und meine Kraft zu schade sind, mich mit solchen Zeitgenossen auseinanderzusetzen. Überzeugen lassen sie sich eh nicht.

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Sonntag, 210124

Auch Sonntags früh aufzustehen, kann sich manchmal lohnen, wie heute früh zum Beispiel. Schnee im Tal der Wupper, ein seltener Besuch hier. Der Zauber hält natürlich nicht lange, mittlerweile ist nur noch zerfahrener Matsch übrig. Schönheit hat ein kurze Halbwertszeit, Glück oder das, was Mensch darunter landläufig versteht, ebenso. Manche versuchen dem natürlichen Verfall ein Schnippchen zu schlagen, Bildhauer zum Beispiel. Oder Die Erbauer manch historischer Gemäuer, sofern diese etwas Zeitloses, die Kriege, überleben durften. Architekten und Sprengmeister, zwei Enden eines Seiles, das wusste schon Heinrich Böll, wie er in einem meiner Lieblingsromane fein erzählt hat. Menschenwerke – nicht für die Ewigkeit gedacht.

Wo sind sie eigentlich alle hin? Lemmy zum Beispiel, der außer an die deutsche Bank sowie an die Firma Marshall an rein nichts geglaubt hat und das auch lautstark kund tat. Andere leben noch, die hier zum Beispiel, Heldin meiner Jugend und heute mit 66 Jahren Mutter eines 10-jährigen Mädchens. Eigentlich unterscheide ich mich mit meiner Graberei nach längst vergangenen Schätzen bei Youtube zumindest zeitweise wenig von meinem Vater, dessen liebste Beschäftigung darin besteht, Bilder von Vorgestern, von seinen zahllosen Reisen, zu schauen. Irgendwie erschreckend das, aber hilft die Zeit des Wartens zu überbrücken, jeder auf seine Weise. Auf den Frühling, auf den Tod, auf das Leben davor, auf das Frühstück, Gegenwart, ich komme gleich. 

So. Musik zum Thema Vorgestern und zum heiligen Sonntag …

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Freitag, 210122

Teams und so.

Seit einiger Zeit arbeiten wir mit Teams, Videotelefonie und sich-gegenseitig-auf-dem-Schirm-gucken-lassen. Da gibt es die Möglichkeit, ein Profilbild zu laden, welches dann auch im Outlook zu sehen ist. Die meisten Kollegen haben davon keinen Gebrauch gemacht, außer ein paar Exponierte. Schade eigentlich, denke ich, und beweise Mut zur Hässlichkeit, indem ich ein Bild von mir hochlade, schön mit Bandana um die Birne, wegen der Kühlwasserspritzer. Axl Rose für Arme. Aber immerhin ein Bild, sogar nicht gänzlich unsympathisch.

Mittagspause. Wir hocken zusammen, mein arabischer Kollege und ich. Guck mal, sage ich, Profilbild. Der guckt, grinst und sagt: Hier, isch geb`dir Profilbild! Sitzt mittig vor dem Schirm samt Cam, Füße auf dem Tisch. Man sieht erst mal nur die dreckigen Sicherheitsschuhe im Vordergrund, die Bildmitte wird dominiert von dem beeindruckend großen und in der engen Hose detailgetreu abgebildeten Gemächt und irgendwo am Horizont erscheint das frech grinsende, unrasierte Gesicht mit verschränken Armen hinter dem Kopf.

Alter, sage ich, während wir uns vor lachen kaum halten können, geh`Außendienst! Mit dem Bild stehen dir alle Türen offen…

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Donnerstag, 210121

Furchtbar

Das ist alles furchtbar, sagt ihr Nachbar am Döner-Stand, der seine Brottasche in Arbeit hat. Furchtbar … grantelt es Döner-mümmelnd, während er sich langsam auf dem Weg macht.

Was is` furchtbar, sagt leise der Döner-Mann zu ihr, ein Araber mittleren Alters. Dieses Volk kennt keine Krisen. Alle haben genug Essen, Wasser, Zuhause, warm, Internet…was ist furchtbar?? Er weiß nicht, was furchtbar ist… So ist es, sagt sie, die Frau mit den dunklen lockigen Haaren und den fast schwarzen Augen und nickt zustimmend, während sie zahlt und sich bedankt.

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Sonst so? Es war eine etwas unruhige Nacht mit sehr wenig Schlaf, der Wind spielte lautstark mit den Rolladen. Der Kopf ist schwer, aber es geht mir gut, siehe oben. Wenn etwas fehlt, dann sind es Umarmungen. Und Begegnungen mit der Familie. Die sind selten geworden. Das ist, sagen wir mal, bedauerlich, aber nicht furchtbar. Für mich. Danach kommt lange Zeit nichts mehr, was fehlt. Ganz weit dahinten – da fehlen Kino, Restaurants, Gruppen. Ab und zu mal unter Menschen ist sogar für mich angenehm. Manchmal. Was überhaupt mal gar nicht fehlt, ist shoppen und reisen.

Hinter bedauerlich kommt unangenehm. Das betrifft mich Gott sei Dank schon nicht mehr. Andere schon, so gesehen gestern in der „Lokalzeit“ des WDR. Familien im Lockdown, alle zuhause. Der gezeigte Fall hatte noch das Glück, zu fünft ein mehrgeschossiges Eigenheim zu bewohnen, wo Mensch sich zumindest ein wenig aus dem Weg gehen konnte. Können andere nicht, in ihren Mietwohnungen. Unangenehm und nervig, aber lange noch nicht furchtbar. Die Wahl der Worte …

Und – als Mensch, dessen erste Lebenshälfte aus einer Kette von privaten Krisen bestand, ist mir das Prinzip dahinter jedenfalls vertraut. Hätte ich auch nicht gedacht, dass mir das mal zum Vorteil gereicht.

 

 

 

 

Dienstag, 210119

Traumzeit

Er fährt eine ihm unbekannte Straße entlang, mit seinem Begleiter auf dem Beifahrersitz. Linker Hand erblickt er etwas, was er nicht glauben kann. Auf einer riesigen Fläche liegt ein umgestürzter Dom, eine geschliffene Kathedrale, 90 Grad gedreht auf ihrem Seitenschiff. Alter, verwitterter Sandstein, zugemauerte Fensternischen. Während er seinen Augen nicht traut, denkt er, dass selbst die Herren der 12 Jahre so etwas nicht fertig bekommen haben. Oder doch? 

Er hält an, steigt aus, gefolgt von seinem Begleiter, der sich diskret im Hintergrund hält. Es gibt keinen ursprünglichen Eingang mehr, nach einigen Suchen entdeckt er so eine Art Baustellen-Tür, ein Provisorium, das irgendwer angelegt haben könnte, der was auch immer darin zu tun hatte. Die Tür lässt sich öffnen, die beiden betreten eine Art Keller-Verschlag. Finster ist es, vom diffusen Licht der Straße mal abgesehen. Plötzlich hört er ein Geräusch, das ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ein wildes Tier, nicht weit entfernt, irgendwo nebenan, wo immer das auch ist. Von seinem Begleiter ist nichts mehr zu sehen. 

In einer Nische findet sich ein loses Brett, das sich leicht entfernen lässt. Wie aus dem Nichts hält er ein scharf geschliffenes Hackmesser in der Hand, kriecht durch die entstandene Lücke, findet sich in dem ehemaligen Kirchenschiff wieder. Bänke, merkwürdiger Weise aus Stein, ebenso verwittert wie das ganze Gemäuer, stehen rechtwinklig zu ihrer ursprünglichen Lage, ein bizarres Bild. Auf einem Mauervorsprung liegt ein altes Buch, er schlägt es auf. Alle Seiten sind fast vollständig geschwärzt, die wenigen erhaltenen Zeilen in Frakturschrift sind unleserlich verwittert. Ungläubig fährt er mit den Fingern über die geschwärzten Bereiche, spürt den Kohle-artigen Farbabrieb auf seiner Haut, während in der Finsternis, diesmal aber bedrohlich nahe, der Hüter der Stätte zu vernehmen ist, mit einem Schrei, nicht von dieser Welt. 

Ihm bleibt nur die schnelle Flucht, zusammen mit dem Vertrauen in das scharfe Messer, welches er Gott sei Dank nicht braucht. 

3.15 Uhr. Selten war die Freude über diese frühe Stunde vergleichbar groß …

Sonntag, 210117

Schnee im Tal der Wupper, das ist seltener Besuch hier. Auf den Höhenzügen rundherum ist er schon mal eher zu sehen, die gehen bis 350 Meter hinauf. Der Schneepflug allerdings hat die Idylle schon früh am Morgen beiseite geschoben. So gibt es kein Bild, sei`s drum.

Sonst so? Über das Wetter zu schreiben, ist ein Zeichen von geistiger Leere. Das ist gut für`s Gemüt, wenn mal keiner zuhause ist, da oben, aber eher weniger gut für`s schreiben. Obwohl – wie man sieht, schafft es auch das beinahe-Nichts, Zeilen zu füllen. Ich sollte das perfektionieren und Redenschreiber werden, für sonst wen Hochgestellten. (Was für ein Wort…) Gott sei Dank sind sie nicht alle so, die Menschen öffentlicher Wahrnehmung, Politiker vorneweg. Den meisten unterstelle ich schon eine gewisse Ernsthaftigkeit, zumindest, wenn sie nicht gerade mit Macht-Politik beschäftigt sind.

So, wenn schon mit leerem Kopf, dann wenigstens nicht mit leerem Magen. Auch nicht so ganz ohne Musik …

I serve my head up on a plate…

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Samstag, 210116

Keine besonderen Erkenntnisse diese Woche, von den üblichen Herausforderungen mal abgesehen.

  • Jeder Tag hat nur 24 Stunden.
  • Die Nacht hat grundsätzlich zu wenig Stunden
  • Muskeln und Sehnen mögen keine Kälte und im fortgeschrittenem Alter auch keine größere Mengen Stahl.
  • Die drei Löcher in meinem Unterarm haben fast identischen Abstand, sie zeugen vom ausgelassenen Spiel mit einer jugendlichen Katzendame.
  • Es ist für mich jedes Mal ein Wunder, zu sehen, wie schnell kleine Wunden sich schließen, Blut gerinnen kann und Wunden heilen können.

Sonst so? Abstand halten ist Kacke, jedenfalls, was das große Kind angeht, das ob zahlreicher beruflicher Kontakte Skrupel zeigt, seinen Geburtstag familiär zu begehen. Ehrt ihn und betrübt mich. Ihn vermutlich auch. Es sind Scheiß-Zeiten, und um so mehr möchte ich diejenigen Köln sehen lassen, die immer noch so tun, als ginge sie das alles nichts an, die fröhlich ihr Ding wie gewohnt durchziehen, sich natürlich auch nicht impfen lassen wollen und ihren geistigen Dünnschiss ihre Realitäts- und Wissenschafts-feindliche Haltung auch noch lauthals verbreiten (dürfen).

Stichwort verbreiten – Twitter zieht Trump den Stecker, ein echter Beitrag zum Weltfrieden, wie ich finde. Ob hinter diesem längst überfälligen Entschluss Einsicht steckt oder die schiere Angst vor massiven Eingriffen von außen – schwer zu sagen. Bleibt jedenfalls spannend, was gerade in den Staaten geschieht.

In dem Sinne:

We look hard to see for real …

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