Vater im Krankenhaus
Freitag, 220708
Einige Telefonate, keine Neuigkeiten. Der Pflegedienst wurde über den Stand der Dinge informiert, lange Gespräche mit Mutter, es geht um ihre ebenso überschaubare Lebenszeit, aber auch um Zwiespalt und schlechtes Gewissen. Alles in allem wirkt sie trotz alledem erleichtert, nun ihre Ruhe zu haben, was ich gut verstehen kann. Ihre Haltung ist Gott sei Dank unverändert.
Wir können nicht wissen, ob Vater nochmal aufnahmefähig sein wird, akustisch und/oder geistig. Und falls, wie wird er reagieren? Einsicht war nie seine Stärke, ich befürchte, dass er sich verraten und verkauft vorkommt, wenn dann. Vielleicht ist unser Schöpfer auch so gnädig und holt ihn sich zeitnah. Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Patientenservice der Klinik. Wir sprechen nochmal über Fixierung, ich erfahre, dass dies nur sparsam eingesetzt wird und es für länger einen richterlichen Beschluss erfordert. Ich dränge nochmals auf Sedierung, um ihm dies zu ersparen, äußere meine Befürchtung, sie könnten ihn einfach irgendwann bei Mutter vor die Tür stellen – das sei ausgeschlossen, dafür seien sie ja involviert. Gott sei Dank. Bleibt abzuwarten, wann er von der Intensivstation verlegt wird und wohin. Wichtig ist der Besuch meiner Mutter dort morgen, vielleicht nimmt er sie wahr.
Selbst bin ich heute nicht in der Klinik. Den Tag heute widme ich der Hausarbeit und einem Spaziergang, später. Gott sei Danke habe ich noch ein paar Tage frei.
Samstag, 220709
Seit gestern Mittag liegt Vater auf Station. Selbst bin ich nicht bei ihm gewesen, habe Mutter dorthin gefahren. Knapp 2 Stunden Fahrt alles in allem und eine gute Stunde sitze ich vor der Station auf einem Absatz im Treppenhaus, wenigstens hat es ein paar Stühle dort für Begleitpersonen, die nicht mit rein dürfen. Es ist ok, dass sie allein bei ihm ist, über die Regelwerke hinaus. Sie soll ihn sehen, wie er ist, ohne weiter Ablenkung von außen.
Der bringt sich selbst um – das waren Mutters erste Worte, als sie wieder heraus kam. Sein Zustand ist wohl weitestgehend unverändert, hinzugekommen ist eine entzündete Hand samt Unterarm, ein Überbleibsel des vorletzten Klinikaufenthaltes. Katheder, diverse Ports, die er mit schöner Regelmäßigkeit versucht, zu entfernen. Fast taub und nicht bei Sinnen. Unruhig nennen sie das in der Klinik. Ich finde das zurückhaltend formuliert. Da ist Wut, die gleiche alte Scheißwut, die er immer hatte, wenn es nicht seinen Willen nachging. Sein Verhalten jetzt in dieser erbärmlichen Hilflosigkeit entspricht genau seinem Charakter, wie er eigentlich immer schon war. Er ist ein Mensch, der nie gelernt hat, loszulassen. Die Frau an seiner Seite ist geblieben, mittlerweile fast 70 Jahre. Ausnahmslos alles ging nach seinen Willen, und wo das mal nicht der Fall war, da wurde er ungerecht behandelt. Mindestens.
Es ginge so vieles auch zuhause, wenn Mensch Einsicht in seine Lage hätte und sich dem fügen könnte. Es gibt Krankenbetten und mobilen Pflegedienst, vielfache Hilfe. Aber nicht für einen Menschen, der in seiner Hilflosigkeit sich selbst gefährdet, immer noch kommandieren möchte und damit den letzten verbliebenden Menschen an seiner Seite zugrunde richtet. Und natürlich denke ich an mich, was einst sein wird. Zwar habe ich einen guten Teil des Charakters meines Vaters in mir, aber mein Leben ist voller Brüche und Abschiede. Vielleicht fällt mir der finale Abschied von mir selbst einst etwas leichter, ich hoffe das. Auch habe ich schon lange verinnerlicht, dass mein Ego nicht das Maß der Dinge ist. Einer der wenigen positiven Aspekte einer zum Stillstand gebrachten Suchterkrankung. An mir ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass Vater gut versorgt wird, wo auch immer, unter welchen Umständen auch immer und gleich, was er davon hält. Nachhause geht es für ihn nicht mehr, so traurig wie das ist, Stand heute und sehr wahrscheinlich endgültig.
Für Montag habe ich mich angemeldet, ihn zu besuchen. Es findet sich.
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Und – zwischendurch gibt es so etwas wie Ferien.
Bilder dazu HIER beim Wassertiger
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