Samstag, 220319

Draußen wird es hell, Zeit, die Lichter zu löschen und die Rollläden zu lüften. Im Kopf noch halb beim gerade Geschriebenen, halb bei dem, was der Samstag an Routine von mir erwartet. Deutlich zu spüren der Unwille, mich unter gierige, hamsternde Menschen zu mischen. Steckt euch eurer Mehl und Sonnenblumenöl dorthin, wo es immer dunkel bleibt. Aber lasst mir vorher noch was übrig …

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Für G. – und für mich, zur Erinnerung.

Ohne diese Gewissheit für mich, dass meine ewige Seele nicht zugrunde gehen kann, sondern dass sie ihre Aufgabe weiter erfüllen kann, hätte es ja keinen Sinn mit der äußersten Intensität noch zu leben und zu arbeiten und zu wirken. Jeder Tag ist erfüllt mit dem Versprechen für die Zukunft. Darum, meine Lieben, kümmert mich auch das, worin die Analytiker so begierig wühlen, die Vergangenheit, eigentlich nicht. Denn wenn mir jemand sagt: Ja, meine Eltern, ja, meine Verhältnisse, ja, all das – Ja, mein Lieber deine Seele hat das ja gewählt, als du, deine Seele sich inkarnierte, hat sie ja bei den Eltern, in den Verhältnissen hier einen Körper angenommen, um von da aus zu entwickeln dein Weitergehen mit den Aufgaben, die dir da gesetzt sind. Nimm diese Aufgaben tapfer an, denn sie gehören zu dir und es ist niemand schuld, niemand schuld! Und wenn mir jemand mit dem allem anfangen will zu reden, „Ja, meine Mutter …“ und neulich kam eine, die aus der Therapie davongelaufen ist, der der Therapeut – das ist ja eine der Stil-Übungen — gesagt hat: „Schlag deine Mutter tot!“ Nun ja, mhm. Da habe ich ihr nur ironisch gesagt: „Na und? Na und?“ „Nicht wahr, du musst doch weiterleben, lass doch die Vergangenheit.“

Heinz Kappes, religiöser Sozialist, evangelischer Pfarrer, Quäker, Übersetzter. Zitiert aus seiner Rede vom EA-Treffen in Höchst am 12.02.1977 – Die Heilung der Emotionen durch die Seele

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Für C. – und für mich, dito zur Erinnerung

Einst verließ ich diese Stadt.
Weil jede Straße, jedes Haus meine Geschichte atmete.
Sie sagten, pass gut auf.
Egal wohin du gehst,
du nimmst dich immer mit.

Ach, sagte ich,
den kenne ich, 
den großen schweren Koffer.
Aber, es mag doch sein,
den zu finden, der ich werden könnte,
der Bestimmung folgend.

Und der Koffer kriegt Rollen,
dann wird er leichter zu bewegen.
Vielleicht stelle ich ihn bald an die Straße,
leere ihn und sortiere aus
all den Ballast.
Sprühe mit Lack "Na und" herauf
Und reise fortan mit leichteren Gepäck.

Dienstag, 211221

So ein schönes Datum ist einen kleinen Eintrag wert, auch, wenn es nicht viel zu sagen gibt. Der vorletzte Werktag im alten Jahr, kurz vor Schluss hustet noch eine der Uralt-Maschinen hier. Wir haben alle so unsere Altersbeschwerden, die drei Fossile aus Stahl und meine Wenigkeit.

Sonst so? Fundstück aus dem Netz:

Definiere richtig und falsch … in meinem Fall kommt noch die vollkommene Unkenntnis irgendwelcher Träume im Sinne von Zukunftsgestaltung hinzu. Da bleibt das wilde Herz allein und tobt sich in der Gegenwart aus, mangels Perspektiven. Ich freue mich für jeden, der dieses und jenes noch alles tun möchte, in seinem Leben. Endlich Rentner, so höre ich oft. Bei mir kichert das Leben immer leise, wenn ich versuche, so zu denken. Sicher ist die Begleitung der Eltern auf dem letzten Weg. Der eigene letzte Weg. Enkelkinder? (es kichert schon wieder…) Mag sein oder auch nicht. Würde ich erleben, meint das große Kind. Falls mich mein Pessimismus nicht zuvor umbringen würde. Es kennt und liebt mich sehr, das große Kind.

Sonst so, Teil 2?

Warum Jesus heute Yoga machen würde – bei den Krautreportern.

Werktag jetzt. Die Säge will sägen …

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Montag, 211101

Allerheiligen, der Beginn des stillen Monats, mehr oder weniger. Zum Gedenken der Toten brauche ich persönlich keinen besonderen Tag, das mache ich unregelmäßig das ganze Jahr über verteilt. Es beschäftigt mich mehr der Umgang mit den Lebenden, und ja, es gibt eine Brücke zum heutigen Tag. Menschen gehen meist zu verschiedenen Zeiten und die so genannten Hinterbliebenen dürfen nicht nur derer gedenken, die voraus gegangen sind, sondern auch ihres eigenen Verhaltens ihnen gegenüber, sofern die Reflexion dazu ausreicht. Darin übe ich mich, mit Blick auf meine Eltern, ohne Streben nach Perfektion. Dazu ist meine Seele in Teilen zumindest noch zu aufgewühlt. Fortschritt ist machbar, das geht.

Was mich auch beschäftigt – ich habe dieser Tage mehrfach von Menschen gelesen, die wieder so sein möchten, wie sie einst waren, vielleicht in einer etwas reiferen Ausgabe. Mir persönlich gruselt es bei dem Gedanken. Noch einmal so Angst-erfüllt, blockiert, gehemmt, sprachlos, ohne Worte, ohne irgend einen Sinn? Meine natürlich letztendlich erfolglose „Therapie“ bestand aus einer 22-jährigen Saufzeit, ohne die ich mich möglicherweise umgebracht hätte. Konjunktiv, was solls. Noch mal zurück? Niemals, egal wohin, dorthin jedenfalls nicht mehr.

Bleibt der Blick in die Gegenwart und nach vorne. Es geht mir gut, vergleichsweise. Kann manchmal den Nebel lichten und Brücken im Kopf bauen, Worte finden für das gefühlte. Lerne Vergebung, mir selbst und anderen gegenüber. Was Zorn nicht ausschließt, der darf sein, vor der Vergebung und auch danach, wenn sie noch nicht vollständig ist.

Man fordert Frühstück – Ende der Worte.

Samstag, 201024

Gedanken über manch Anhaftung an die Vergangenheit. Für B., aber auch für mich, zur Erinnerung.

Wo bin ich, wenn nicht im Augenblick, in der Gegenwart? Mal versuche ich mir die Zukunft vorzustellen. Pläne gibt es keine mehr, eine Vision, eine Ahnung vielleicht, verbunden mit der Hoffnung, damit zumindest in etwa richtig zu liegen. Wohl wissend, das letzte Wort habe nicht ich.

Weit mehr Raum nimmt manche Erinnerung an die Vergangenheit ein. Je älter ich werde, desto mehr kommt zusammen, damit kann ich locker die Tage füllen, wenn ich es denn zulasse. Kann alles noch einmal präsent werden lassen, all die alten Irrwege und Wunden noch einmal spüren, ebenso wie die tatsächlichen oder vermeintlichen Fortschritte. Mal hat das seinen Sinn, für eine Zeit. Und ja, manches verblasst und hinterlässt allenfalls diffuse Bilder oder auch Schuldgefühle. Je mehr Zeit vergeht, desto unscharfer wird manches Bild.

Für mich ist wichtig, stets die Brücke zur Gegenwart im Auge zu behalten, denn gleich, in welche Richtung ich nun schaue, eines ist beiden gemein: Der Blick zurück, so sinnvoll er von Zeit zu Zeit auch sein mag, um mich neu zu verorten, er entfernt mich ebenso aus der Gegenwart wie zuviel Sandkastenspiele im Kopf, was die Zukunft angeht. Gehe ich nicht über die Brücke, laufe ich Gefahr, den Nebel der Vergangenheit mit in meine Gegenwart zu nehmen.

Als ich noch trank, sah ich keine Brücke. Alles war grau-schwarz, ein aufgewühltes, trübes Meer aus verpassten Gelegenheiten, gelebte, gefühlte Scham und vor allem Selbstmitleid, kombiniert mit teilweisen Realitätsverlust und beginnender Paranoia. Allein in diesem trüben Ozean, weit und breit kein Horizont in Sicht, weil die eingesetzten Mittel jeden schärferen Blick verhinderten. Das schlimmste daran war, mit den rechten geistigen Kniffen ließ es sich darin aushalten,, sich darin einrichten, der einsame Wolf lässt grüßen. Heute drücke ich es anders aus, Scheiße hält eben warm, zumindest eine Weile.

All dies ist lange her, meine Gegenwart heute ist, Gott sei Dank, eine andere. Die Fallstricke sind geblieben, aber sichtbar und lebbar. Der Hang zum grübeln scheint mir eigen zu sein, gleich wie der schwarze Vogel, der untrennbar zu mir gehört. Schatten sicher, aber auch das Licht ist in mir, reduzierter Sozialkontakte und manch Alltags-bedingt auf ein natürliches Mass geschrumpfter Träume zum Trotze. Leben ist – hier, jetzt. Im Licht, wenn gerade auch nur die Schreibtischlampe. Jemand liest all dies vielleicht bis zum Ende hier, und schon ist eine Verbindung da, wenn auch nicht sicht- und greifbar 😉

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PS: Gerade gelesen – Warum Deutschland drei mal mehr Corona-Kranke als Japan hat, trotz vergleichbar überalterter Gesellschaft. Eine Mischung aus gravierenden Unterschieden in Bürokratie und Verwaltung einerseits, aber – und das macht mich schon nachdenklich – auch in dem Sozialverhalten, dem Verantwortungsgefühl jedes Einzelnen. HIER für euch ohne Bezahlschranke bei den Krautreportern nachzulesen.

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