Montag, 220905

Neulich bei einer meiner Wanderungen durch die Stadt fielen sie mir wieder auf: Diese Mini-Türen auf Keller-Niveau, manche hübsch getäfelt, andere mit schnöden Stahlblech verkleidet. Ehemalige Kohlenlöcher, in denen der Kohlenmann seine Fracht abließ, um dem Weg mit den schweren Säcken in den Keller zu sparen. Lange her, das, obwohl die Kohle gerade wieder neu entdeckt wird.

Als Kind fand ich diese Türchen faszinierend. DA also wohnen die kleinen Leute, von denen zuhause immer die Rede war. Die haben nen separaten Eingang, damit sie den großen Leuten nicht in die Quere kommen oder gar, weil sie so klein sind, mal unachtsam einfach so zertrampelt werden. Das ist wirklich nett von dem Hausbauer, darauf geachtet zu haben. Manchmal, wenn so ein Türchen einen Spalt offen stand, kroch ich hinunter, um zu schauen, ob die Wohnung der kleinen Leute denn auch ihrer Größe angepasst war. Leider war wenig zu sehen, niedrige Decken zwar, aber funzeliges Licht, Dreck, Spinnen und sonst nichts.

Arme kleine Leute, aber wenigstens passende Haustüren hatten sie. Nur eines verstand ich nie, traute mich aber auch nicht zu fragen: Warum wohnten meine Eltern nicht hinter solch einer Tür, bezogen sie sich doch, obgleich nicht zwergenhaft von Wuchs, ausdrücklich immer ins Reich der kleinen Leute mit ein?

Fragen über Fragen. Eine Antwort habe ich mittlerweile gefunden: Wer sich selbst im Reich der kleinen Leute verortet, braucht sich über ausbleibendes Wachstum nicht zu wundern. Das andere Extrem ist auch nicht zielführend und hat mir als junger Mann neben mehreren menschlichen Tragödien zwei Kündigungen eingebracht – das große Portal der Selbstüberschätzung. Mittlerweile passe ich problemlos durch ganz normalgroße Türen, vielleicht muss man dafür beide Extreme mal getestet haben.

Samstag, 200808

Besondere Erkenntnisse der Woche:

  • Funktionäre aller Art schaffen es trotz meiner inneren und gefühlt fortschreitenden Läuterung immer noch, mir auf die Nerven zu gehen. Damit meine ich diejenigen Mitmenschen, die, weil man ihnen einmal den Kloschlüssel zu treuen Händen übergeben hat, permanent über sich hinaus wachsen und sich ob den ihnen übertragenen großen Aufgaben in Sachen Profilierungssucht und Selbstüberschätzung ständig selbst übertreffen.
  • Die letztgenannte beiden Leiden sind mir durchaus selbst vertraut, im Laufe langer Jahre jedoch auf ein für mich und andere gesundes Maß ausgeheilt.
  • Etwas gut-sein zu lassen passt dem Ego gar nicht. Das möchte draufhauen, sich verbal produzieren, zeigen, wo hier der Hammer hängt.
  • Zur großen Freude aller anderen Persönlichkeitsanteile meinerseits wird mir das rechtzeitig bewusst. Nicht immer, aber immer öfter.
  • Das Wetter: Klimatisierte Kaufmannsläden machen das Wetter, das Einkaufen an sich, ebenso die Mitmenschen erträglicher, Masken dagegen eher nicht. Kleinstwagen ohne Kühlschrank sind wartungsarm und Energie-freundlich zu fahren, haben an manchen Sommertagen aber auch Nachteile.

So, und jetzt darf ich wieder raus, üben…

*

 

 

Fundstück

Der einzige ehrliche Mensch auf der Welt. Ist das lange her … Stichwort Selbstüberschätzung und so. Ein Lied für alle von-sich selbst-sehr-Überzeugten …

„Ich veredele die Wirklichkeit
Aber mach das mal einem andern klar“

Bei den Zeilen muss ich grinsen – wenn ich an so manche Selbsteinschätzung in jungen Jahren denke. Früher, früher konnte Kunze auch noch Musik …  ja, das ist ein Vierteljahrhundert alt und immer noch aktuell.

Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich habe Angst I’m Dunkeln und tanze nie
Ich veredele die Wirklichkeit
Aber mach das mal einem andern klar
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich habe meine Zweifel an der Demokratie
Dämlichkeit als Preis der Freiheit
Den Griechen nach! Den Griechen nach!
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich übernehme die Sowjetunion
Ich reise unter falschen Namen:
Alfred Tutein und Odradek
Rhythmische Opfer
Rhythmische Opfer
Rhythmische Opfer
Rhythmische Opfer
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich bete I’m Flugzeug ich schreie auf Klippen
Ich kann mir kein Träume merken
I’m Wartezimmer will ich mit dem Kopf durch die Wand
(Mit dem Kopf durch die Wand
Mit dem Kopf durch die Wand
Mit dem Kopf durch die Wand
Mit dem Kopf durch die Wand)
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Mein ist der Glaube an die Inspiration
Mein ist das Verhängnis der Größe
Mein ist der langsame Pfeil der Schönheit
Die Kunst macht dem Denker das Herz schwer

*