Mittwoch, 240228

„Hättest du gedacht, dass ich mal so sein kann“ – frage ich meinen Kollegen nach dem alltäglichen Geplänkel mit einem Dritten. „Du warst schon immer so“, sagt der. „Früher eher noch schlimmer“, schiebt er nach, steht auf und baut sich vor mir auf. Seine Füße konkurrieren mit den Augenbrauen im Zusammenstehen, er zieht eine Eins-A-Fresse, sein Kopf ragt bei gestrecktem Rücken deutlich über seine Schuhspitzen. „SO warst du“, sagt er. „Aber weiß du was? Ich hab dich trotzdem lieb, auch früher schon. Besser so als die verlogene Freundlichkeit manch anderer“.

„Weiß ich“, sage ich und grinse. „Eins ist dennoch anders als früher (man kennt sich fast 30 Jahre, mittlerweile). Hast du eine Ahnung, wieviel Angst ich mein Leben lang hatte?“, frage ich. Er schweigt – „Die hat mich so sein lassen, Angstbeißer, weißte. Und das ist heute anders. Heute steht mein Zorn für sich allein, wenn dann. Ohne die Angst dahinter. Fühlt sich richtig gut an“.

Noch besser ist gefühlt ohne alledem. Zeiten ändern sich, wer weiß.

240227 – Drabble-Dienstag

Die Regeln – 100 Wörter, die drei Vorgegebenen müssen enthalten sein. Beugen geht, Synonyme gehen nicht. Überschriften zählen nicht mit. Zum Zeichenzähler geht es hier. Viel Spaß!

Hier die Wörter für Dienstag, den 27.2.2024:

hängen – Übergabe  – feinfühlig

Fortsetzung – Trennung, mal mehrdeutig.

Einsamkeit ist seine neue Begleiterin, sie legt sich über ihn wie ein schmutziggraues, schweres Tuch.

Nach der Wohnungsübergabe half Opulenta ihm auspacken, das verdammte Messer trennte ihr beinahe den rechten Mittelfinger ab. Ausgerechnet den. Das folgende lautstarke Drama, Mordpläne inbegriffen, erschütterte das ganze Haus. Hängen war noch die gnädigste, weil schnellste Behandlung, die sie seiner Ex zukommen lassen wollte.

Alles hätte sich verlaufen können, mit einem dicken Verband und einem tröstenden, verkehrsreichen Abend. Hätte, wenn Mama nicht dabei gewesen wäre, die auf ihre gewohnt feinfühlige Art deutlich machte, sie möge sich nicht so anstellen, linkerhand ginge ja auch noch etwas.

Samstag, 240224

Meine beruflichen Umstände treiben mich zunehmend in fragwürdigen Sarkasmus. Details gehören hier nicht hin, nur so viel:

Das Alf-Zitat ist total mehrdeutig. Selbst werde ich tagtäglich mit Menschen konfrontiert, die etwas tun müssen, was sie nicht können und rundherum niemand da ist, der sie vernünftig anleitet. Auf der anderen Seite kann genau dies auch Motivation sein, sich nen eigenen Kopp zu machen. Unnötiges Lehrgeld inbegriffen, das sich heute eigentlich niemand mehr leisten kann. Das Rad ständig neu erfinden zu wollen, ist schlicht dumm und unnötig. Mit unserem Berufsaustieg verschwinden mit jeden Einzelnen Jahrzehnte Berufserfahrung. Nicht gut für unser Land.

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Die frühe Stunde – ich liebe diese Zeit. Jeder an seinem Platz. Und eigentlich isses auch keine Stunde, sondern allenfalls ein paar Minuten. Dem alten Mann wird die Heizung zu fad und er steht altersgerecht langsam auf. Was die Kleine als Aufforderung zum jagen versteht, und so schranzen die beiden von jetzt auf gleich übelst durch die Bude. Alles halt zu seiner Zeit.

Zum Schluss ein ohrwurmendes Liedchen über Vergänglichkeit.

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240220 – Drabble-Dienstag

Die Regeln – 100 Wörter, die drei Vorgegebenen müssen enthalten sein. Beugen geht, Synonyme gehen nicht. Überschriften zählen nicht mit. Zum Zeichenzähler geht es hier. Viel Spaß!

Hier die Wörter für Dienstag, den 20.2.2024:

Gefolge – rostig – aufräumen

Wütend füllt sie die Kisten, packt seinen letzten Kram. Die lähmenden Tränen verdrückt, zornig räumt sich besser auf. Vier Wochen ist er fort, sie denkt an all die Angänge, um die Wut hochzuhalten. Kumpels, das ganze verwandtschaftliche Gefolge, die gottverdammte Mischpoke, die sich ständig in alles einmischen musste.

Wäre sie noch irgendwie mit klargekommen, wenn sie nicht gewesen wäre. Das Fass lief über, wäre sie wenigsten noch klug gewesen, zu ihrem opulenten Körperbau und ihrer Verschlagenheit. Morgen holt er seinen Scheiß, denkt sie, während sie das ebenso rostige wie scharfe Messer mit der Klinge nach oben zwischen seine Shirts packt.

🖤

Sonntag, 240218

„Send me an Angel“ – so dröhnt es von der Kegelbahn nebenan herüber. Ein mittlerweile 4 Jahrzehnte altes Pop-Liedchen, das ewig lang von allen damaligen Radiostationen runtergeleiert wurde. „Real Live“ hieß die Band.

Stimmt, denke ich, im „realen Leben“ kann man Engel immer gut gebrauchen. Damals wie heute.

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Nachlese – Selbstbild, buntgestiftet

Samstag, 240217

Damit nicht vergessen wird, was Kriege und Größenwahn mit Kindern und Heranwachsenden anrichten. Aber auch, weil es für mich einem Wunder gleichkommt, dass dieser Mensch sich heute in seinem 89sten Lebensjahr befindet.

Einmal hatte ich so eine Unterleibsgeschichte, mit 16 oder so. Der Arzt verschrieb mir Zäpfchen zum einführen. Die konnte ich nicht nehmen, weil in dem winzigen Zimmer kein Platz für mich allein war, neben den 4 anderen Bewohnern. Bin zurück zum Arzt und habe ihm das erzählt, hatte Glück, der verstand mich und wies mich für eine Woche in ein Krankenhaus ein.

1951, Zeitzeugin, Jg. 1935

Nein, aus Liebe habe ich ihn nicht geheiratet. Ich wollte da heraus, in ein eigenes Leben. Der hatte, nachdem seine Mutter fort war, zwei Zimmer in einer zerbombten Baracke, durch die der Wind blies. Eines davon drohte ihm das Amt wegzunehmen. Als wir endlich heiraten und ich zu ihm ziehen durfte, konnten wir die beiden Zimmer behalten.

1954, Zeitzeugin, Jg. 1935

Mit 15 hatte ich mein erstes Zwölffingerdarmgeschwür. Kein Wunder, bei dem Essen und dem drumherum. Erst gab es, wenn überhaupt, Kohl, Sauerkraut und Brennnesseln, ohne alles. Faule Kartoffeln und schimmeliges Brot. Später dann alles fett, keiner hatte gesund kochen gelernt. Ich sah aus wie aus dem KZ, so Ärmchen. Ständig am kotzen, konnte nix bei mir behalten.

1952, Zeitzeugin, Jg. 1935

Jeden Morgen nach dem wachwerden freue ich mich auf den kommenden Tag

2024, Zeitzeugin, Jg. 1935

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Freitag, 240216

Wolfsstunde, wieder einmal.

Morgenuringeister geben sich kichernd die Klotürenklinke in die Hand. Blindflug mit Sehschlitzen und zwei erfreuten Nachtkatzen im Dreivierteldunkel.

Im Nachgang lese ich ein wenig und schreibe meinem großen Kind ein bebildertes Hühnersuppenrezept. Sonst nix zu tun um diese Stunde.

Derweil schläft es zumindest neben mir wieder leise fiepend, nur kurz von der Sirene da draußen unterbrochen, welche die Stille der Stunde unsanft zerschneidet. Nachtgeräusche …