Freitag, 220325

Als junger Mann dachte ich, ich sei Pazifist. Hatte so nen Aufkleber auf meinem Schrott-Käfer: Ein Dinosaurier, daneben stand „Ausgestorben. Zu viel Panzer, zu wenig Hirn„. Mit sehr vielen anderen Menschen war ich Anfang der Achziger im Bonner Hofgarten, demonstrierte gegen die Stationierung neuer Waffensysteme im Westen. Hörte gebannt Heinrich Böll sprechen, den ich bis heute verehre.

Jetzt ist einiges anders. Ich weiß, ich bin kein Pazifist, heute kenne ich meine Wut, mein Aggressionspotential, das sich früher in der Hauptsache gegen mich selbst gerichtet hat. Wut, mit der ich heute in der Regel zurecht komme. Ein wildes Tier, nicht eingesperrt, aber an der Leine, mit Maulkorb, auf dem steht:

Du sollst nicht töten

So ist geblieben die Ablehnung von blinder, sinnfreier Zerstörung und unermesslichen Leid. Was Kriege anrichten, treibt mir das innerste nach außen, der ganze vererbte Scheißdreck ist wieder zu spüren. Und doch geht es mir ähnlich wie Croco, auch ich hätte nie gedacht, es mal zu begrüßen, wenn Armeen an den Grenzen der „westlichen“ Länder verstärkt werden.

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Sonst so? Ein gewaltiges altes Lied, das mir verstohlene Tränen in die Augenwinkel treibt. Danke fürs teilen, Springerin.

Some day soon
the tide will turn
and I’ll be free



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Sonntag, 220123

Die Stimmung einfangen, bevor sie verfliegt.

Die Nacht dauerte von Eins bis Sechs, fünf Stunden sind gute Kür. Vielleicht ist es diese sonntägliche Stille, die mich nicht mehr schlafen lässt, obwohl ich könnte, heute. Eine Stille, die nur hier und da von ein paar Raben verhalten unterbrochen wird. Die Jungkatze braucht in der Regel fünf Minuten, um herauszufinden, dass ich wach bin. Sie kommt kuscheln und beschallt mich mit ihrem sonoren Schnurren. Davon abgesehen kommt sie auch, wenn ich schlafe. Ihr Wille geschehe.

Mit dem aufstehen kommen die Geräusche, das scheppern der Uralt-Rollläden, die Verrichtungen im Bad, das knarzen der Dielen, Geschirr wird weggeräumt. Bahnhof, denke ich. Gleise – geh-leise. Assoziationen, die ich nicht mehr ausspreche, das mitleidige Kopf- und Augenverdrehen meines sozialen Umfeldes betrübt mich zu sehr. Du und deine 80er-Sprüche. Aber lachen tun sie doch, sogar an- , nicht aus.

Ein Kommentar von mir, der irgendwie auch hier rein passt:

Wiedergeburt

Ein Leben reicht definitiv nicht. 
Mir schon, aber meiner höheren Macht nicht. 
Wollte schon dieses nicht, 
wäre bei meiner Ankunft beinahe wieder hochgefahren. 
Und du bleibts schön hier! 
– so schallte es., derweil mir ein Arzt den Arsch verwackelte, 
um mir das atmen beizubringen.

Herausforderung nach langem Zögern angenommen.

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Sonst so?
Buchtipp, Werbung, unbezahlt, aber gerne geschehen:
Roman Pestak, Alles für nichts.

Brutaler Realismus, der arg zum nachdenken anregt.
Genau mein Humor.

Und – der nun schon nicht mehr ganz so stillen Stille sei es gehuldigt, mit angepasster Musik. Ludos Neue klingt auch gut. Schon wieder unbezahlte Werbung. Kind des Systems, warum kannst du auch nicht selbst musizieren …

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Sonntag, 210711

Vollständiger Impfschutz ab heute. Mich lässt das erstaunlich unberührt, angesichts der Tatsache, keine Lust auf gesellschaftliches Trallalla zu haben. Aber zu können, wenn man nur wollte, das finde ich gut. Manche haben aus diesem Grund eine scharfe Waffe daheim. So Analogien veranlassen zur gedanklichen Abdrift, also schnell wieder zurück, schließlich ist heute Sonntag und ich habe am Nachmittag soziale Kompetenz zu beweisen.

Menschen besuchen, die ich nicht kenne, Kontakte der Liebsten. Wurde schon gewarnt, nicht zu tief zu schürfen, schön an der Oberfläche zu verweilen. Flach kann ich auch, meine Lieben wissen das, foppen mich gelegentlich ob meines speziellen Humors. Sorry, sage ich dann, bin halt Kind meiner Zeit und außerdem echt simpel gestrickt, mitunter. Ok, flach mit Niveau also. Sonntäglich halt, und nach Möglichkeit nicht mit dem Kinski-Shirt, kann da nur hoffen, dass jenes nicht auf dem Stapel Shirts obenauf liegt. Ein Zeichen, Herr, ich folge, Nee, würde nicht zum Sonntag passen. Und nicht zur gemutmaßten sozialen Kompetenz, will ja nicht mit der Tür ins Haus fallen und den Rahmen noch gleich mitnehmen, in alter Frische. Natürlich gibt es bestimmt etwas, was ich lieber täte, aber wenn ich fertig bin mit darüber nachzudenken, was genau das denn sein könnte, ist es wieder Zeit für Tageschau oder so. Jedenfalls später am Tag. Also gehe ich mit und übe den Umgang mit der eigenen Gattung. Kann nicht schaden, um des sozialen Wachstums willen.

So. Die flachen Achtziger. Wenn schon, denn schon. Release 1985, laut Netz. Ein seinerzeit von der Presse verrissenes Album, so`n Außenseiter-Ding. Na dann.

Samstag, 210508

Auf dem Weg zum Einkauf hatte ich ihn heute früh plötzlich vor mir. Den „großen Bruder“ meines Lieblingsgefährtes der 80er, der mit einem kleinen V6er von gerade mal 2 Litern ausgestattet war. Die „jüngsten“ Exemplare liefen Anno 1985 vom Band, dann war Schluss. Eigentlich roch ich ihn schon, weit bevor ich ihn sah. 15 Liter Stadtverbrauch (meiner kam nur auf knapp 12…) ohne Kat, der Gestank der 80er zog gnadenlos durch die Lüftung ins Wageninnere. Anachronismus pur, drinnen saß ein Typ, alt und fett, auch irgendwie durch die Zeit gefallen wirkend wie sein Auto.

Aber – Emotionen bedient haben solche Autos. Mal davon abgesehen, dass ich damals noch keine 30 war – so viele Strafmandate in kürzester Zeit habe ich nie wieder gesammelt. Alles Geschwindigkeitsübertretungen und auch mal angerötete Ampeln. Jeden Sportfuzzi mit aufgeblasenen Golf GTI habe ich mit diebischer Freude an den Kreuzungen dank Automatik & Kickdown zumindest in den ersten Metern stehen lassen, an guten Tagen lässig den nicht benötigten linken Fuß mit den Wildlederfransenboots aus dem Fenster hängen lassend. Wollte ich wirklich mal einfach nur in aller Ruhe nach Hause oder sonst wo hin, wurde ich prompt von anderen Heißspornen herausgefordert – ein Gebaren, über das ich heute nur noch lachen kann. Aber mit Mitte 20 war ich vorne und wenn ich hinten war, war hinten vorne… Mein großes Kind in heute ebensolchen Lebensalter hat so rein nichts davon, zu meinem Staunen und zu meiner großen Freude.

Längst bin ich ein anderer Mensch, was Alltagsgegenstände angeht und auch sonst, Gott sei Dank. Pragmatisch, sparsam, zurückhaltend und zunehmend global denkend, mit Gruseln im Nacken, wenn ich an die Folgen unserer Sünden denke. Aber manchmal, wenn auch selten, beim Anblick eines Sportcoupes, dann kitzelt es noch ein wenig, so wie früher. Gut, nicht jeden Impuls nachgeben zu müssen, denke ich dann.

Sonntag, 201108

Barak Obama, 7.11.2020

Ein Wochenende ohne besondere Vorkommnisse, zumindest, was mein Leben so angeht. Politisch und Seuchen-technisch mag das anders ausschauen. Hinter dem großen Teich haben sie einen neuen Häuptling gewählt, während der alte noch am Stuhl klebt. Unsäglich, dieser Mensch. Scham-erfüllt wende ich mich ab, denke an den Schuh, der einst George W hinterher flog. Wenn eine Geste passt, dann die. Nichtsdestotrotz ist es erst einmal Sache der Amerikaner, wie, warum und wen sie wählen. Zwar strahlt es bis hier her, was dort geschieht, ist dennoch weit außerhalb dessen, worauf ich auch nur den geringsten Einfluss habe. Mir reichen die Verhältnisse hierzulande schon. Zumal sich in der Sache nicht viel ändern dürfte, zumindest handelstechnisch. Militärisch schon eher, aber im wesentlichen dürfte ein neuer Ton in den Umgang kommen – das ist schon mal eine ganze Menge, hat doch viel mit gegenseitigen Respekt zu tun, auch, wenn man nicht unbedingt einer Meinung ist.

Ein Wort noch an alle, die glauben, es ginge sie nichts an. Wir alle sind dicht verwoben in einem engen Netz aus wechselseitigen Abhängigkeiten. Der Yoga-Lehrer aus dem Studio, der Lehrer in der Schule, der Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sie alle haben eine Menge mit dem Werker am Band eines Automobil-Zulieferers zu tun, werden doch hier die Erträge erwirtschaftet, die andernorts dann abgeschöpft werden und so anderen ihre Existenz ermöglichen. Am Handel hängt alles, gehen doch von 3 produzierten Oberklasse-Fahrzeugen 2 in den Export, davon eines in die Staaten. Ebenso der deutsche Maschinenbau, der weltweit einen exzellenten Ruf hat. Ein würdiger Umgang miteinander tut also Not, angesichts unseres gewaltigen Außenhandels-Überschusses, der uns allen zumindest in „normalen“ Zeiten ein Auskommen ermöglicht.

Sonst so? Gestern Abend schauten wir Bohemien Rhapsodie, den Film von 2018. Erinnerungen wurden wach, aus einer Zeit, in der das Leben eine Menge Euphorie lieferte, in meinem Fall noch gut verstärkt durch den Einsatz von Alkohol und Drogen. Gänsehaut beim hören und sehen, Erinnerungen und Menschen und Jahre. Es gibt Zustände, die liefert einem das Leben nur mit 18, 20. Später dann in dieser Form nie wieder. Anders, ja. Nicht so hoch, aber tiefer.

Weil`s jetzt sein muss.

Berührung und Nähe. Zu dem Thema habe ich eine guten Artikel gefunden, aus dem Sommer diesen Jahres. Nachzulesen ohne Bezahlschranke HIER bei den Krautreportern. Wenn mir etwas fehlt, dann die Möglichkeit, andere Menschen ohne Angst umarmen zu können, zumal ich so lange gebraucht habe, das zu lernen, bzw. zuzulassen. Auch hier wieder – ES findet sich, kein Staat kann so etwas dauerhaft unterbinden, Ansteckung hin, Seuche her. Wir werden lernen, damit neu umzugehen.

Nähe? Geben die hier auch, die Opportunisten vor dem Herrn. Wenn, dann ehrlich. Bild 2 ist ein Suchbild, irgendwo ist ein Auge versteckt, in dem geplatzten Sofakissen 🙂

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Samstag

Um 8 schon Katzensteine gekauft, mit einem Sack alten, ausgeleierten Schlauchschal vor `m Gesicht, der noch genug Luft zum atmen lässt. Anschließend heldenhaft noch einige Kleinigkeiten im Supermarkt besorgt, Outfit siehe oben. Die Eltern mit Erdbeeren, Blaubeeren, Tageszeitung und meiner ca. zehnminütigen Anwesenheit beglückt, anschließende sehr kurze Stippvisite bei Freunden im selben Dorf.

Brunch mit der Liebsten und – Nicht mein Tag auf dem Schirm. Ein auch vom zeitlichen Rahmen feiner Film zum Brunch, kein Klischee bleibt unbedient, tolle Szenen, rührender Klamauk. Gekonnt an Brötchen und Ei vorbei gelacht, Erinnerungen an meine Zeit mit dem Maurerporsche in den 80ern Revue passieren lassen. Bestimmt nicht meine beste, aber die verrückteste Zeit.

In meinem Kopf brummt es noch von dem Film gerade eben. So eine Ohrwurm-Melodie, im Film zwar nur kurz angespielt, aber sofort bei mir festgesetzt. Musik zum staubsaugen gleich…

Aber erst mal:

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Sonntag Abend

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Wann war ich eigentlich letztmalig im Melkweg/Amsterdam?

Das muss so um 1982 gewesen sein. Damals gab es keine Tash Sultana, es gab irgendwelchen Reggae, eine reichlich verkiffte Truppe aus dem Tal der Wupper, Erinnerungslücken, eine übervölkerte Ferienwohnung in Callandsoog nahe Amsterdam. Es gab einen stinkenden, rostzerfressenen Opel Rekord D/1700 Caravan in 70er-Orange, was gut mit dem Rost harmonierte. Übernachten darin war auch gut möglich, Schlafsack & Luftmatratze waren immer an Bord. Und – es gab gewisse Schwierigkeiten, den Wagen in Amsterdam zum einen wiederzufinden, zum anderen, aus der Stadt heraus zu finden. Wie das so ist, sein kann, stoned. Es gab interessierte Blicke der Zollbeamten an der Grenze auf der Heimfahrt, in Richtung Ladefläche des Caravan, derweil sich dort 3 Gestalten lang ausgestreckt vom Osterfest in NL erholten. Gelobtes Land, damals.

Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt in den Niederlanden?
Hatten wir.

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