Höhlenbewohner

Gerade gesehen: Friendship – ein Beinahe-Roadmovie mit ernsten Hintergrund von 2010. Viel gelacht und am Ende tief bewegt … ein Stück deutsch/deutsche Realität.

Sonst so? Früher kannte ich Jungs, die auch so drauf waren. Selbst habe ich mich nicht getraut. Klar konnte ich verreisen, als einer, der durch Fügung auf dieser Seite Deutschlands geboren wurde. Was ich nur selten tat – von einigen verrückten Touren mal abgesehen. Zudem waren mir bis 1990 die Niederlande als gelobtes Land näher als der Osten Deutschlands, nicht nur geographisch, bis ich sozusagen über Nacht ostzonale Anverwandtschaft bekam, was eine Geschichte für sich war. Und heute? Bin ich dankbar, gerne zuhause sein zu dürfen. Wenn ich Bewegung brauche, bin ich mal `ne Weile unterwegs. Ansonsten viel Familie, die teils weit weg wohnt. Was mir echt fehlt, ist das Meer. Wobei das Wasser schneller kommt, als meist gedacht. Wenn auch nicht plötzlich und unerwartet.

Gut zu Fuß

Seit einigen Tagen habe ich so eine Schrittzähler-App auf meinem Phon. Eigentlich überflüssig, aber schon interessant, was da so am Tag zusammen kommt. Meist habe ich das Ding ja bei mir. Nebenan die Jane hat das mit einem Tamagotchi verglichen, dieses imaginäre Wesen aus den unseligen 90ern, welches ständig versorgt werden wollte. Hat etwas, der Vergleich …

Und so drehe ich digital kontrolliert meine Runden, gestern Abend kamen gut 7000 Schritte zusammen, heute nur knapp weniger. Na toll. Aber immerhin – so komme ich an die Luft – hier gestern Abend über die menschenleere Nordbahntrasse – schon ein merkwürdiges Gefühl.

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Beim gehen lasse ich Gedanken und Gefühle kommen und wieder ziehen, bin allein, ohne mich einsam zu fühlen. Nur wenige Geräusche sind schwach zu vernehmen, irgendwo leise Stimmen, entfernt Autos, hier und da irritierte Vögel, die angesichts der milden Temperaturen ihren Kalender vorgestellt haben. Es ist anders als beim radfahren, kein Fahrtwind in den Ohren und alles geht bedeutend langsamer.

Heute Nachmittag dann folgt eine weitere Runde, herunter vom Berg in die Stadt. Eine Weile sitze ich still in St. Laurentius, die Welt ist zumindest akustisch komplett ausgesperrt.

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Beim verlassen der Kirche fällt mir eine Doku aus der Mediathek ein, Thema die steigenden Meeresspiegel. Und da sonst gerade in meinem Kopf nichts weiter los ist, stelle ich mir vor, wie das wohl hier ausschaut, wenn das Tal der Wupper einst zum Fjord wird, Venedig light irgendwie. An den Türmen von St. Laurenz können dann Schiffe festgemacht werden, der Ölberg wird zur Landzunge mit Seeblick, anstelle der Tauben scheißen dann Heerscharen von Möwen alles voll. Überall werden geführte Tauchgänge in das versunkene Beinahe-Atlantis angeboten, Kinder sammeln Seesterne am Ufer, weiße Segelboote werden von Frachtkähnen angetutet, ich könnte Sonntags fein Kahn fahren gehen und unsere alte Burg wäre vermutlich auch wieder voll vermietet, angesichts der abgesoffenen Niederungen. Wie schon gesagt, sonst gerade keiner zuhause, in meinem Kopf. Vorerst jedenfalls lassen zumindest hier die Fluten noch auf sich warten, was sich da anderenorts tut, ist schon schlimm genug

Die nächste Station ist die Hardt – erste Frühlingsboten sind zu sehen, es sind lauschige 15 Grad, bei kräftigen Windböen, die mich auf andere Gedanken bringen. Verkehrte Welt im Februar …

 

 

Stunde Null

Unter Wasser atmen

Ich habe mein Haus am Meer gebaut.
Nicht auf Sand, wohlgemerkt,
nicht auf Treibsand.
Ich habe es aus Stein gebaut.
Ein starkes Haus
an einem starken Meer.
Und wir haben uns aneinander gewöhnt,
das Meer und ich.
Gute Nachbarn.
Nicht, dass wir viel gesprochen hätten.
Wir trafen uns schweigend.
Respektvoll, auf Abstand bedacht,
aber mit Blick auf unsere Gedanken
durch den Zaun aus Sand
Stets mit dem Zaun aus Sand als Grenze,
stets den Sand zwischen uns.

Aber eines Tages,
und ich weiß immer noch nicht, wie es geschah,
da kam das Meer.
Ohne Warnung.
Auch ohne Einladung.
Nicht plötzlich und schnell,
sondern eher wie Wein
sich durch den Sand einen Weg bahnt,
weniger wie Wasser fließt
eher wie ein Strömen von Blut.
Langsam, aber stetig.
Langsam, aber strömend wie eine offene Wunde.
Und ich dachte an Flucht und an Ertrinken
und an Tod.
Und während ich noch dachte, stieg das Meer höher,
bis es meine Tür erreichte.
Und da wusste ich, es gab keine Flucht, keinen Tod,
kein Ertrinken.
Wenn das Meer kommt und nach Dir ruft,
gibt es keine gute Nachbarschaft mehr,
als ob ihr euch gut kennt und freundlich distanziert bleibt.

Du tauscht dein Haus
gegen ein Schloss aus Korallen,
und lernst, unter Wasser zu atmen.

Von Carol Bieleck (Sacré Coeur-Schwester)
gefunden in „Zwölf Schritte der Heilung“ von Richard Rohr