Montag, 240422

Ich lese etwas über Euphorie als Stilmittel der verkaufstrategischen und politischen Manipulation, erinnere mich und schreibe …

Euphorie als Massensuggestion ist ja altbekannt. Meister dieses Faches war vermutlich Göbbels als schwärzester Vertreter der politischen Master of Ceremonis.

Selbst ist mir die alkohol- bzw. drogeninduzierte Euphorie gut vertraut. Ein Feuerwerk der Hormone im Vorfeld des Konsums und gerade auch zu Beginn. So etwas wird einem im nüchternen Leben selten präsentiert, mit zunehmenden Lebensalter immer weniger. Dieser manchmal empfundene „Mangel“ führt bei mir zeitweise und Gott sei Dank selten länger andauernd zu recht düsteren Episoden.

Die kleine, eher unverdächtige Schwester der Euphorie ist die Begeisterung – die geht immer, finde ich. Setzt aber Geist voraus – geistlose Menschen kann man nicht begeistern, sehr wohl aber fanatisieren – was wiederum auch etwas mit Euphorie zu tun hat, allerdings mit ihrer schwarzen Seite, siehe ganz oben. Aber – Begeisterung geht immer, so als schallgedämpfte Variante der Euphorie. Ein Zustand, der moralische Aspekte ebenso mit einschließt wie die Nutzung des Verstandes.

Gefällt mir persönlich besser!

Sonntag, 211114

Der Tag beginnt typisch November grau in grau, dazu noch Volkstrauertag. Der Tag der Erinnerung an die Kriegstoten und die Opfer von Gewaltherrschaft aller Art. So ein Gedenken ist wichtig und richtig, ohne Zweifel. Für mich ist es allerdings genauso wichtig, zu verstehen, wie es in jedem Einzelfall so weit kommen konnte. Jeder Krieg, jedes Pogrom hat seine Geschichte. Geschichten, die immer verbal begannen, über Sanktionen und Ausgrenzung dann letztendlich zur Gewalt führten.

Heute sind die Methoden perfider, ausgefeilter und weitaus gefährlicher, weil nicht mehr klar erkennbar. Was ist schon daran gefährlich, den mündigen Bürger zum selber-denken aufzufordern? Der Kontext macht es, der Ton, die Art der Fragestellungen, im Hintergrund das Dauer-Rauschen des stets und ständig manipulierenden Staates, dem jedes Mittel recht ist, die Interessen bestimmter Gruppen durchzusetzen, korrupt, wie er sein soll. Und so werden Einzelfälle zur Norm stilisiert, Stimmung gemacht, zum zehnten Mal wiederholt, wird es dann gefallen. Was anstelle dessen treten mag, wird im Ungefähren gelassen, man arbeitet im Hintergrund an den Möglichkeiten. So gesehen steht die kommende Regierung unter einem enormen Erfolgsdruck. Scheitert sie, sind die Grünen in der nächsten, stramm konservativen Regierung nicht mehr vertreten. Mir bleibt zu hoffen, dass auch der letzte Dogmatiker dies erfassen kann.

Zurück zum heutigen Tag. Erinnerungen an meine Blutsverwandtschaft kommt auf. Wer mich länger kennt, weiß, dass ich zwischen geistiger und leiblicher Verwandtschaft unterscheide, Gold ist, wenn beide Hand in Hand gehen. Die Familie meiner Kindheit bestand in erster Linie aus Frauen, die den Horror des so genannten dritten Reiches irgendwie überlebt hatten. Männer gab es kaum noch, mein Opa mütterlicherseits hat den Krieg überlebt, vermutlich dank seines Unteroffiziers-Grades. Ich habe mich nie bemüht, herauszufinden, was genau er tat, es ist zu ahnen, das reicht mir schon. Also bestimmten Frauen das Geschehen, Tanten ohne Ende, die größtenteils auch gemeinsam in einem ärmlichen Hinterhofhaus lebten. Winzige Zimmer hinter engen Stiegen, mit Klo für je zwei auf halber Treppe. Jede war auf ihre Weise traumatisiert, sie waren füreinander da, alt wurden die meisten nicht. Familien-Fragmente, geprägt von Siechtum und frühen Toden einerseits und von Verdrängung, von Kompensation andererseits. Jeder, so gut er konnte, meine eigenen Eltern inbegriffen. Da ich nicht in ihren Schuhen gelaufen bin, fällt mir Vergebung immer noch nicht leicht, ist aber möglich. Ein steter, dynamischer Prozess, der immer wieder von Wut unterbrochen wird, aber dennoch in eine ganz bestimmte Richtung geht: Frieden mit mir, mit meiner Geschichte. Die Protagonisten werden in Kürze diese Welt verlassen müssen, ihr emotionales, geistiges Erbe wird mir zur weiteren Verarbeitung erhalten bleiben. Kann also nur von Nutzen sein, dieses kleine, noch verbleibende Zeitfenster bestmöglich zu nutzen, wohl wissend, dass dieser Prozess nicht mit dem Tod endet. Was bleibt, ist, um Führung zu bitten und tun, was ich kann.

Zum Ende ein wenig Farbe aus der Konserve, Bilder aus dem Kiez vor zwei Tagen.

Und – immer fein achtgeben, wir werden beobachtet.

Ölberg, Wuppertal

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Sonntag, 210926

Wahltag. Spannend, dieses Mal. Heute Abend sind wir klüger, was die reine Mathematik angeht. Danach geht es um Allianzen, innen- wie außenpolitisch vertretbare, gemeinsame Werte gibt es reichlich, auf allen Seiten, dazu mindestens ebenso viele Gegensätze. Wir haben schon länger gewählt und das ist gut so.

Sonst so? Neben den üblichen Dauerbaustellen namens Alltag und Familie bewegen mich die Themen Manipulation, Stimmungs- und Meinungsmache via Social-Media. Dinge, die ich nicht ändern kann. Aber auch Dinge, an denen ich mich nicht beteilige. Kräfte-zehrend und letztendlich fruchtlos, den Don Quijote überlasse ich anderen. Ich gehen wählen und beteilige mich auch gelegentlich an politischen Diskussionen, sofern mir mein Gegenüber das wert ist. An den so beliebten Diskursen beteilige ich mich nicht, ich biete unter diesem Mäntelchen so genannten Querdenkern und religiös-politischen Akteuren aller Couleur keine Plattform zur Darlegung ihrer geistigen Ergüsse. Sie sind es mir nicht wert.

Passende Musik hat es dazu auch.

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Von Gemeinschaften, von Vertrauen und von Bündnissen.

Früher war die Welt um Längen überschaubarer, da bin ich mir mit den meisten zumindest meiner Generation wahrscheinlich einig. Es gab zwei besetzte Länder, eines davon war das Gute (für die meisten das eigene) und der Feind war nebenan. Die Zahl der politischen Parteien war höchst überschaubar und als Protestwähler galt bereits, wer Turnschuh-tragende Menschen in den Bundestag wählte. Es gab weiter für die meisten maximal drei (öffentliche) Fernsehprogramme (Ok, liebe Berliner, ihr wart schon immer gesegneter 🙂 ) sowie einige wenige Tageszeitungen und schon einige weitere politische Wochen-oder Monatsmagazine, die sich allerdings für die meisten Vertreter der arbeitenden Klasse nicht gut eigneten, derweil die Inhalte oft die Länge der Frühstückspause oder des Toilettenganges überforderte.

Mit dem Wegfall der klaren Feindbilder von einst und der Verbreitung des Netzes sieht die Welt heute komplett anders aus. Orientierung ist vergleichsweise schwer geworden und die Welt sehr unüberschaubar. Den früher so genannten Volksparteien läuft zunehmend das Volk weg. Sie bekommen einfach nicht mehr vermittelt, wofür sie stehen und vor allem, warum. Neue Heilsbringer locken mit überschaubaren Botschaften, mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen und Zusammenhängen. Links wie rechts übrigens, mir gefällt das Gleichnis des Hufeisens für die politische Landschaft in dem Zusammenhang sehr gut, welches vermitteln möchte, das an den Enden abseits der so genannten Mitte sich Töne, Auftreten und teils auch Radikalität manchmal sehr ähnlich sehen.

In mir gibt es permanenten Widerstreit zwischen manchen Positionen. So schlägt mein Herz links, was Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit angeht. Andererseits sind mir auch kaufmännische Aspekte vertraut. Das Geld ein scheues Reh ist und schnell abhaut, wenn es nicht gut im Sinne von Gewinnmaximierung behandelt wird.

Einfache Antworten? Die gibt es nicht. Steuern senken, schlanker Staat, schreien die einen, plädieren für einen Raubtierkapitalismus, in dem jeder seines Glückes Schmied ist und der „Rest“ am Boden festgetreten wird, sofern ihm karitative Einrichtungen oder halbstaatliche Suppenküchen nicht mehr helfen können oder wollen. Die diesbezüglichen politischen Bündnisse im Geiste tragen seltsame Farben und bilden Eintrachten, die man auf den ersten Blick gar nicht vermutet. Gelb und Blau sind sich in diesen Bestrebungen sehr nahe.

Auf der anderen Seite stehen jene, die an eine bessere Welt in Form eines fürsorglicheren Staates, manchmal aber auch an ebensolche mit Hilfe von absoluter Anarchie glauben und dabei gerne alle ökonomischen Regeln außen vor lassen. Wie gesagt, ihnen gehört mein Herz, aber nicht unbedingt mein Verstand.

Fakt ist, ich muss wie jeder andere Mensch meine Rechnungen bezahlen. Erst das Fressen, dann, die Moral. Dem alten Brecht seine Worte haben immer noch Gültigkeit. Wenn Mensch sich ständig um seine Existenz sorgen muss, sind die meisten Energien gebunden und auf`s tägliche Überleben ausgerichtet. Hier liegt das Versagen und die tieferen Ursachen der Verluste für die alten Volksparteien. Wen ich nötige, mehrere schlecht bezahlte Teilzeitstellen anzunehmen, um zurecht zu kommen, den verbrenne ich mental, wenn ich als Politiker in Kauf nehme, das für solche Menschen 12-Stunden-Tage und mehr die Regel sind. Wut und Frust bauen sich auf und einfache Parolen haben wieder leichtes Spiel. Stichworte sind Mindestlohn oder besser noch dessen Umgehung durch viele Arbeitgeber, Aufweichung der Tariflandschaft und gnadenlose Liberalisierung des Arbeitsrechtes. Es wird gemacht, was erlaubt ist und wenn keiner guckt, auch noch ein wenig mehr.

Wie wird in diesem Zusammenhang heute Politik betrieben? Hauptsächlich über das Netz, in dem oft genug nichts so ist, wie es scheint, der Zweck heiligt jedes Mittel. Plump die einen, verschlagen die anderen. Selbst hier im harmlosen (?) Blogland gibt es zahllose Seiten, deren einziges Bestreben der Aufbau einer möglichst großen Community  ist, um politische Einflussnahme auszuüben, möglichst ohne selbst Farbe zu bekennen. Wohl wissend, das jeder hier mit jedem irgendwie vernetzt ist. Die Tragweite solcher Agitation macht schlicht schwindelig, wenn man sich mal überlegt, wie groß so ein Netz von Followern wirklich ist. Habe ich meinerseits also eine „Verfolgerschaft“ von vielleicht 50 oder einhundert Lesern gebildet, kann ich davon ausgehen, das es jedem einzelnen von meinen Lesern ebenso geht. Der Rest ist Mathematik und auf diese Weise bilden sich riesige Netzwerke mit zahllosen Überschneidungen und ebenso zahllosen Möglichkeiten der gezielten Manipulation von Gedanken.

Verschwörungsrethorik? Nein, wie gesagt eher Mathematik kombiniert mit der Kenntnis der Möglichkeiten offener und verdeckter, indirekter Manipulation. Eine direkte Auswirkung für mich heißt, die Zahl der Seiten, denen ich meinerseits folge, überschaubar zu halten. Aufmerken, wem ich einen Vertrauensvorschuss schenke. Ohne Vertrauen geht es ja nun mal nicht, was auch immer das Risiko von Irrtum in sich birgt. Manchmal stelle ich auch alles in Frage und bin dicht daran, vom schreiben wie vom lesen erst einmal zu lassen.

Was ich suche? Immer noch und immer wieder Menschen, die glauben können und dabei doch mit den Füßen auf dem Boden stehen. Menschen, die über Schicksalsschläge aller Art gewachsen sind. Die allen Widrigkeiten zum Trotze Frieden finden können, Menschen, die an universelle Wahrheiten glauben können, ohne als esoterische Spinner durchzugehen. Menschen, die ihr eigenes Ego überwunden haben oder dabei auf dem Weg sind. Menschen, die bis in`s Innerste durchzogen sind von der Kenntnis unserer Natur, Menschen, von denen ich weiter lernen darf …

Dich meine ich, genau 🙂