Sonntag, 210829

Es gibt wenig zu schreiben, glaube ich. Ein Versuch ist es dennoch wert, also frisch auf. (Das waren schon mal 16 Wörter mit 74 Zeichen ohne die Leerzeichen, ein guter Anfang für einen morgendlich leeren Kopf)

Eisenherz

Es ist schon lange her – die Oma einer Verflossenen ließ sich mit Anfang 90 noch einen Herzschrittmacher einsetzen. Um ein Jahr später zu stürzen und danach mit einem nicht mehr heilen wollenden Oberschenkelhalsbruch noch weitere zwei Jahre im Bett liegen zu müssen, nicht leben und nicht sterben könnend, bis sie dann endlich schwerst dement erlöst wurde. Sicher kann man nun sagen, wenigstens hatte sie dieses eine Jahr. Hatte sie, stimmt. Fakt ist, es ist so eine Sache, alle Machbare zu tun, was geht. Nichts bleibt folgenlos, so oder so.

Mich beschäftigt das aus gegebenen Anlass, mein Vater trägt dito lange schon solch ein Maschinchen in sich, das ihm mutmaßlich schon einige Jahre Lebenszeit beschert hat. Oft habe ich mich gefragt, wenn ich ihn so reden höre, wozu, wenn ein Mensch nicht mehr lernen und erkennen möchte, wie es scheint. Dann wieder, wenn ich ihn in Fragen nach seiner Lebensgeschichte verwickele, seinen Geist fordere, versuche, ihn von seinen mir so verhassten Stereotypen und Phrasen fortzubringen, wenn ich ihn nach bestimmten Personen seiner Familiengeschichte frage, sehe ich, da bewegt sich etwas. Wer bin ich also, nach dem warum zu fragen. Offensichtlich ist es auch an mir, seiner täglichen Fristverlängerung irgend einen Sinn zu geben. Das meine ich ohne jeglichen Sarkasmus oder gar Zynismus, eher verbinde ich damit die Frage, wie ich es selbst einst halten werde, mit Entscheidungen, mögliche medizinische Maßnahmen betreffend. Es wird sich finden.

Was ist ist
Was nicht ist ist möglich


(Blixa Bargeld)

Auch, wenn B.B. das wahrscheinlich eher politisch gemeint hat, passt es auch sehr gut auf persönlicher Ebene. Und – was auch gut in die Zeit passt, im Angesicht der bevorstehenden Bundestagswahlen:

Zwei Dinge sind unendlich
Die Dummheit und das All
Kein di-di-di-di-di-di, nur di-di überall
Mehr di-di-di-di-di-di und di-di-di zu hauf
Nur die Liebe und das Wetter hören nimmer, nimmer auf
Wir fordern etwas Abwechslung in uns’rer Umlaufbahn
Endgültige Befreiung von Newton’s Schwerkraftwahn
Keine Gravitätlichkeiten, Fliegen fällt sonst schwer
Schluss mit Kontinentendrift, Pangea wieder her

Und nein, das ist keine Einladung zu politischen „Diskursen“ gleich welcher Art. Die führe ich nicht mehr, im Angesicht der ersten beiden Zeilen des zuletzt zitieren Lied-Textes.

*

Sonntag, 210131

Der Tag beginnt mit Kopfweh und Niedergeschlagenheit, eineinhalb Liter mit Ingwer versetzter grüner Sencha verdünnen das Blut und die Über-Kopf-Übungen lassen das Kopfweh in den Hintergrund treten. Das Radio läuft leise, in allen Räumen derselbe Sender. Zeit für die Kirche, ich höre, dass Paulus alles schuld sein soll, im Sinne der Abkehr von der reinen Lehre Jesu. Mir gleich, denke ich, so kompliziert mein Seelenleben und so verworren meine Lebensgeschichte auch sein mag, so simpel und einfach ist mein Kinderglaube.

Viel Spektakuläres gibt es nicht zu berichten. Das Leben fordert mich derzeit eher im Stillen, aber dennoch ausgiebig. Die Eltern – sie brauchen was anzuziehen. Einkaufen ist für sie schon in „normalen“ Zeiten aufgrund ihrer Gebrechen schwierig bis unmöglich. Also bewaffne ich mit Laptop und Phon als Hotspot zur Shopping-Tour. Weil es nicht anders geht. Es hat etwas befremdliches für mich, wenn die Grenzen verwischen, wenn ich in intime Lebensbereiche eindringe, eindringen muss.

Stille Lektionen auch anderenorts. Im Austausch mit meinesgleichen werde ich mir meiner selbst bewusst, im Sinne des vierten und fünften Schrittes der anonymen Alkoholiker. Rücke auch mir näher, der alte Zauber wirkt immer noch und immer wieder, im kleinen Kreis ebenso wie in einer größeren Runde.

Nicht nur hier arbeitet es eher im Verborgenen. Die Familie hat wieder einmal Nachwuchs, die Liebste ist vierfache sechzehnfache (wir haben gerade der Wahrheitsfindung wegen gemeinsam auch den äußeren Kreis mit einbezogen und sorgfältig durchgezählt) Großtante geworden. Ich nehme auf meine Weise Anteil, freue mich für alle an diesem existenziellen Vorgang Beteiligten über die gelungene Schlüpfung. Was wirklich zählt, abseits mancher unerfüllbaren Sehnsüchte – hier schimmert es durch. Geburten, Todesfälle und die Intensität der Zeit dazwischen. Einfach Leben.

In dem Sinne…

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Mittwoch, 201014

Wenn ich sehe, was derzeit Pandemie-bedingt durch die Schutzmaßnahmen an Existenzen vernichtet wird, wird mir flau. Die vielen Menschen im Veranstaltungs- und Gastgewerbe haben mein Mitgefühl. Gleichzeitig spüre ich tiefe Dankbarkeit, seinerzeit einen Beruf mit „Substanz“ ergriffen zu haben und darüber hinaus eine Menge glückliche Fügungen erlebt haben zu dürfen, die mich bis heute seit nunmehr 42 Jahren ununterbrochen erwerbstätig sein ließen.

Lange Zeit habe ich Menschen ein wenig beneidet, die beruflich „irgend etwas kreatives“ lebten. Oder in direkter Weise an der hedonistischen Maxime unserer Gesellschaft ihr Auskommen hatten. Indirekt trifft das auch auf mich zu, mache ich doch seit Urzeiten schon „irgendwas mit Autos“. Und – zu meiner eigenen Gewissensberuhigung bin ich an der Wertschöpfung von Fahrzeugteilen beteiligt, die unabhängig von der Antriebsart in allen Fahrzeugen benötigt werden. Auch ein Segen, in der Zeit heute.

Und nein, ich bin kein Feind von Vergnügungen. Obgleich spät evangelisch getauft, auch kein Vertreter von purem beten & arbeiten. So wie Millionen andere bin ich in einer Welt aufgewachsen, deren Hauptzweck, so wurde es mir vermittelt und rundherum vorgelebt, darin bestand, sich die Taschen zu füllen, weil das letzte Hemd eben keine solchen hat. Die Frage nach einem wie auch immer gearteten tieferen Sinn, in Kombination mit meinem persönlichen Zuschnitt als süchtiger Mensch hat mich an Abgründe gebracht, die ich nicht nur überleben, sondern auch an ihnen wachsen durfte. Stofflicher Genuss hat heute für mich da seine Grenzen, wo er anfängt, mein Bewusstsein zu manipulieren. Darüber hinaus weiß ich heute freie Zeit sehr zu schätzen, bin mir selbst zunehmend mehr ein Freund und brauche nicht viele Mittel, um Frieden zu finden.

Die Mischung macht es. Ich wünsche uns ein wenig mehr Bodenständigkeit, in Verbund mit spiritueller Tiefe, die nicht erst am Boden der Abgründe zu finden ist.

~

PS: Die Grinsekatz gibt es nun auch wieder bei Facebook.

Tja.

Je älter das Jahr wird, desto schwerer fällt mir das aufstehen, in der Frühe. Alle reden von der schönen Adventszeit, wenn ich allein da draußen bin, kann ich das auch spüren, für kurze Zeit. Bis ich wieder in Arbeit absaufe.

Könnte zetern und klagen. Kann ich auch sein lassen. Weil sinnlos.

Sag`s mit Musik …

Wenn schon, denn schon.

Andererseits – dieser Tage sah ich Bilder eines im Schneeregen und Dreck versinkenden Flüchtlingslagers in Griechenland. So gesehen sind wir Kinder des Glücks. Wenn ich dafür aufrichtig dankbar sein kann, fühlt es sich auch so an.

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