Sonntag, 240407

Es gab mal eine Zeit, da habe ich so Sinnsprüche verschlungen. Wie überhaupt alles, was nach Weisheit auf dem Weg der Heilung klang. Unter anderen auch die Geschichte von dem Typ, der in einer Gefängniszelle sitzt und aufgehört hat, an die Freiheit zu denken, sich nicht einmal vorstellen kann, wie das ist, nicht eingesperrt zu sein. Irgendwann stand sogar seine Zellentür offen, aber er wollte nicht hinaus. Fragt mich nicht nach der Quelle, die habe ich vergessen.

Wie frei bin ich denn, mein Gefängnis zu verlassen? Kann ich wirklich das eine oder andere transzendieren, auflösen, um dahinter weiterzugehen? Oder ist es am Ende doch nur transformierter alter Wein in neuen Schläuchen? Rückschau hilft und die Antworten sind nicht homogen. Ist das, was ich einst als Gefängnis meiner Selbst empfand, nicht zur Basis eines neuen Lebens geworden? Wie kann man von ständigen loslassen sprechen, ohne in die Falle des Verdrängens zu laufen?

Es geht wirklich, neuronale Netzwerke entstehen neu, neue Erfahrungen überschreiben zwar nicht die alten, sonst könnte ich mich nicht erinnern. Die Frage ist, wie erinnere ich mich. Fühlt sich etwas immer noch schambesetzt oder angstbehaftet an, oder spüre ich mit Blick auch mal weit zurück den ersehnten Frieden? Oder neige ich zum vergessen, weil sich das am leichtesten anfühlt? Die medizinische Entsprechung wäre dann am Ende die der Demenz.

Ich spüre keine Erlösung, aber Fortschritt. Und Neugier, das Leben ist spannend, auch mit Blick auf dich, der Du das gerade liest. Auch Du kommst irgendwo her, bist irgendwo und sehnst dich irgendwo hin, lässt die Resignation nicht gewinnen und lebst Hoffnung.

Dann wären wir schon zu zweit 🧑‍🤝‍🧑​ 🙂

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Zum Ende noch Lichtspiele eines frühen Frühjahrsmorgens. Immer nur für ein paar Minuten zu sehen, ich liebe es, die bildhaft festzuhalten.

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Worte zum Bild – Streifzüge

Dieser Eintrag ist Teil von Myriades Impulswerkstatt Juli-August 2023. Es stehen vier Bilder zur Wahl und es warten zwei so genannte Mosaikbausteine darauf, sich irgendwo im Text wiederzufinden. Hier nun „Erbsen“ oder „Spinat“ und „vergraben sollte sie werden“.

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Streifzüge

Wenn tief in mir Dunkelheit heraufzieht – dann, aber natürlich nicht nur dann – überkommt mich Bewegungsdrang. So streife ich beizeiten ziellos durch die Straßen und schaffe es nach einer Weile, den Verkehrslärm und die vielen anderen Eindrücke der Menschen um mich herum zwar noch wahrnehmen zu müssen, aber ausblenden zu können. Der stetige Gang, die Schritte, welche ich mit Steigungen oder Gefälle leicht in ihrer Frequenz ändere, die dazu angepasste Atmung, all dies zentriert ungemein. Geniale Mischung – Kräfte sammeln und sich zeitgleich verausgaben.

Beim gehen denke ich an einem uralten Film. Lola rennt – die 90er lassen grüßen. Das wäre was, einfach mal zurück spulen und so ein paar Kleinigkeiten anders machen. Klappt im Film hervorragend, leider aber auch nur dort. Vergraben sollte sie werden, die Vergangenheit, sagen manche. Dann kann es auf wunderschönen blumigen Auen arg nach Kacke müffeln, haarfeine Erdspalten lassen grüßen. Oder Mensch macht kompensatorische Karriere, zählt mit Hingabe Erbsen und frisst büchsenweise mentalen Spinat wie einst Popeye. Nix gegen mentalen wie realen Spinat, kommt halt immer drauf an, wofür. Hier nun stinkt es aus dem Tiefen der Erde bald nach krankem Ego, blutigen Ellbogen, nach zu viel Analyse und zu wenig Gefühl.

Und so gehe ich weiter, nehme den alten Mist der Vergangenheit als Dünger für die Beete der Gegenwart, spüre meine Füße, meine Beine, meinen Atem, alles. Gestatte dem Dankbarkeitsregenwurm, das Ganze zwecks besserer Erschließung gut zu lüften. Freue mich über meinen Bewegungsradius, wohl wissend, dass die Läufe sich einst mehr und mehr nach innen verlagern.

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Sonntag, 230702

PSA macht Sinn, die so genannte persönliche Schutzausrüstung. Jeder zertifizierte Betrieb kennt das, nur im privaten Bereich sieht das leider oft anders aus. Warum sollte ich auch ein Haarnetz tragen, um zu verhindern, dass anderen die Speise „verhaart“ wird. Ist ja nicht die meine.

Oder mal Klartext – darf ich ungebremst und unkontrolliert meine eigenen Abgründe auf die Menschheit loslassen? Klar darf ich das – wenn ich die Antwort des Universums ab kann. Wenn ich es aus moralischer Einsicht unterlasse oder schlicht aus Angst vor den potentiellen Folgen unterdrücke – was geschieht dann mit den dürftig vom Haarnetz zusammengehaltenen „Auswüchsen“? Transformieren sie sich von allein? Mag sein, sie ändern die Erscheinungsform, im Sinne des Wortes. Macht es auch irgendwie nicht besser.

Transzendenz – also das Auflösen – gefällt mir besser. Da, wo es möglich ist. Aber wie … mir ist dabei mein Glaube und die tägliche Übung hilfreich. Ohne Anspruch auf Perfektion. Ein zähes, langwieriges Ding alles in allem, eine Lebensaufgabe. Und ja, manchmal gestatte ich mir auch sehr bewusst, aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen und mein Innenleben frei drehen zu lassen. Muss es ja nicht kultivieren, sprich den Wolf nicht füttern.

Sehr geiles Bild, wie ich finde 🙂

Passt so am Rande – Der letzte Traum war auszusieben – Sinnsuche und so.

Samstag, 220521

Pflicht vs. Liebe

Charakter entwickelt sich durch die Erfüllung unserer täglichen Pflichten. Gehorche der göttlichen Eingebung und gehe unbeirrt deines Weges. Verfalle nicht in den Fehler, „Herr, Herr“ zu rufen, ohne die Dinge zu tun, die getan werden müssen. Zwar bedürfen wir Menschen stets des Gebets und der inneren Versenkung, aber dabei müssen wir trotzdem unsere Arbeit tun und unser Tagewerk pflichtgemäß verrichten. Der Mensch ist weise, der sich inmitten seiner Geschäftigkeit Zeit zur Muße nimmt und geduldig auf Gottes Führung wartet. Wer der göttlichen Eingebung gehorcht, der findet inneren Frieden.

Quelle

Selbst bei mir wecken diese Worte erst einmal leichten Widerspruch, erinnern sie mich doch stark an das evangelikale „bete und arbeite“. Und auch, wenn es in meinem Leben mal eine lange Zeit gegeben hat, in der ich mich über solche Aussagen lustig gemacht und dabei laut „Prost“ gesagt habe, weiß ich heute im Nachgang doch, so ist es.

Meine Pflicht tun – kann das ein Akt der Liebe sein? Als Mensch mit Trigon Sonne-Saturn im Geburtshoroskop weiß ich um die Macht von Verbindlichkeit und Beständigkeit. Meine Mutter tut ihre Pflicht, sagt sie. Ich tue die meine im Sinne des vierten Gebots. Du tust mehr als deine Pflicht, sagt die Liebste, das ist Liebe, was du tust. Mag sein, aber das blende ich aus, wenn ich mittendrin bin. So selbstlos, wie das alles manchmal scheint, ist es, denke ich, nicht. Es gibt etwas zu lernen, für mich. Erkenntnisse über das Alter, über die Hilflosigkeit, über Bedürftigkeit und allen damit verbundenen inneren und äußeren Widerständen. All dies registriere ich unterhalb der ausgeübten Pflicht, nehme es meist still zur Kenntnis. Nichts geschieht ohne Grund, so viel ist sicher.

Sonst so?

Es bewegt sich derzeit nicht viel, so scheint es. Von der Arbeit mal abgesehen, dort bin ich derzeit ganz auf mich allein gestellt, derweil mein arabischer Lieblingskollege aushäusig beschäftigt ist. Danke, Herr, für das besagte Trigon (siehe oben) sowie für ein mittlerweile recht dickes Fell, gepaart mit einem für manch einen gewöhnungsbedürftigen Humor, ein Gemenge aus Sarkasmus und Fatalismus. Last not least – Danke für meinen Kündigungsschutz, irgend einen Vorteil muss das älter-werden ja haben.

Und – in Erinnerung an meine zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer (Boah, gegendert!), ich könnte euch versichern, so ihr denn noch leben tätet – es ist noch mehr als genug von mir übrig, auch wenn ihr mich einst in Teilen komplett abgeschrieben habt.

Montag, 220103

Noch heute und morgen arbeitsfrei, zwecks Akklimatisation nach einer kleinen Reise über den Jahreswechsel in Sachen Familie, nun wieder hier in den heimischen Wupperbergen. Mein Jahreswechsel war sowohl als auch, wie so oft. Der letzte Eintrag entstand am Neujahresmorgen, gegen halb drei oder so. Den Rest kann sich der geneigte Leser denken, derweil die Fete noch bis 5 Uhr früh weiter ging. Selbst war ich so frei, mich für gut 2 Stunden zu verpissen, um ein nahe gelegenes AA-Meeting zu besuchen. Fazit: Konnte ich gut brauchen, an dem Abend. Auch, wenn kaum wen irgendwelche Pandemie-Regeln interessieren. Undenkbar im Westen.

Heute – war Brunch, so wie jeden freien Tag, an dem wir es schaffen, gemeinsam zu essen. Wie immer gibt es Film zum Brunch. Den heutigen schauten wir bis zum Ende durch.

Ein Familienvater

Eine der Geschichten, in denen Kinder den Preis zahlen, damit ihre Eltern, hier speziell der Vater, im Leben ein wenig weiter kommen. In dem Film hat es sozusagen einen doppelten Gewinn, ein am Ende geläuterter Vater sowie ein Kind, das nicht den vollen Preis entrichten muss. Im Film geht das, manchmal auch im „richtigen“ Leben. Tränen rührend, der Film.

Und – wie so oft schlägt der Film Wellen ins private. Ich erinnerte mich meiner Suizid-Gedanken vor fast 22 Jahren, die ich damals schön für mich behielt. Weg sperren lassen wollte ich mich auch nicht. Neben der allgemein gefühlten Aussichtslosigkeit meiner damaligen Lebenssituation gab es in einem Hinterzimmer meines kranken Kopfes auch die Vorstellung, was ein Selbstmord wohl mit meinen Eltern machen würde. Mein damaliges Fazit – es hätte nichts bewirkt, außer vielleicht eine kurze Urlaubsunterbrechung, kombiniert mit der fortgesetzten Überzeugung, selbst alles richtig gemacht zu haben. Einer von vielen „logischen“ Gründen, das Vorhaben nicht in die Tat umzusetzen. Unlogisch, weil nicht dokumentier- oder belegbar an dieser Stelle der Schutz „von oben“, in dieser bislang schwärzesten Zeit meines Lebens. Und da sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Alle miteinander.

Gut so.
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Sonst so ?

Nettes Präsent zum alljährlichen Jahresend-Wichteln. Gegen „Bad Vibes“ im Kopf, mit herben Duft zur körperlichen und seelischen Reinigung. Man weiß, was mir fehlt.

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Mögliche Musik zur rituellen Waschung:
(passt auch zu einer längeren Autobahnfahrt im Kleinstwagen)


Donnerstag, 211209

Kommentare, die länger werden, kann man auch in Beitragsform packen.

Meine Lebensumstände sind nicht „zufällig“ so, wie sie sind. Immer gab und gibt es einen Sinn dahinter. Manche nennen es Prüfungen, das mag sein. Eines weiß ich heute gewiss: Es gab in meinem Leben Umstände, Gegebenheiten, Menschen, Gefühle, die mir den Schlaf geraubt haben, mich beinahe um den Verstand gebracht haben. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass sich dieses mal ändern sollte.

Geschehen ist derweil im Außen zweierlei: Manches hat sich ganz ohne mein Zutun buchstäblich in Luft aufgelöst. Anderes wiederum hat sich nicht die Spur geändert. Im meinem Inneren dagegen geschah dito etwas: Für das, was sich gelöst hat, bin ich tief dankbar. Einerseits. Anderes ist unverändert, ja, berührt mich aber nicht mehr oder nicht mehr so stark.

Das macht Hoffnung. Hoffnung darauf, dass sich dieser lebenslange Prozess fortsetzen möge. War es bislang so, wird es auch so bleiben (können). Will sagen, auch das, was mir heute noch das Herz schwer macht, kann ich in einiger Zeit annehmen, wie es ist. Oder mich für dessen Auflösung bedanken. Und – das geile daran – es könnte sein, dass es sich um eine universelle Gesetzmäßigkeit handelt. Also nicht nur für mich Gültigkeit hat, sondern auch für andere Menschen.

Ja, und Du – auch für dich 🙂

Danke für die gelungene Anregung zum sortieren und klar kriegen, liebe Alice.

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