Samstag, 220716
Wir besuchen Vater am Nachmittag. Tetris mit dem Mini-Auto, die Liebste, Mutter und ihr Rollator. Endlose Fahrerei, die sich jetzt wöchentlich wiederholen wird. Für 30 Minuten Aufenthalt. Um kurz vor 3 betrete ich die Station, bewaffnet mit Waschzeug und frischer Wäsche. Heute ist es sauber, es ist Kaffee-Zeit. Vater schläft und wird geholt, er sieht sauber aus, so kann ich Mutter zu ihm lassen. Wir wechseln, sie geht hinein und ich hinaus. Nur einer darf auf Station.
Mutter ist hart im nehmen, äußerlich, steht aber schon unter Schock. Er erkennt sie, aber wir wissen nicht wirklich, ob ihm klar ist, dass er nicht mehr heim kann. Bis zum frühen Abend bleiben die Liebste und ich bei Mutter.
Sonntag, 220717
An zwei Einrichtungen sind bereits vor Wochen Formulare verschickt worden, alles belegt. Nun schreibe ich eine Einrichtung frei an, formuliere Textbausteine, die ich auch anderweitig verwenden kann, schildere in knappen Worten Vaters Situation und Krankheitsgeschichte. Das erste Anschreiben geht per Netz-Formular raus und zeitgleich per Fax, sicher ist sicher. Brief an den Pflegedienst, eine Rechnung reklamieren. Mail an unseren Gemeindepfarrer, ich schildere die Dringlichkeit und bitte um Hilfe, in Sachen Kontakte zur Diakonie und möglicher Verkürzung formaler Wege. Fühle mich wie ein Dramaturg, dabei bin ich nur Berichterstatter, bestenfalls Erzähler.
Mittendrin ruft Vater an, lässt einen Pfleger anrufen, am Mittag. Kommst du heute, fragt er, Ich kann nicht kommen, Büro-Tag und Vorbereitungen auf Montag stehen an und die zwei mal 30 Minuten pro Woche sind auch „verbraucht“. Auch möchte ich ins Krankenhaus, wo noch sein Handy liegt. Ich versuche, ihm zu erklären, dass ich nächste Woche komme. Er versteht mich nicht – komm doch, ich sitze hier am Eingang, es geht mir schlecht. Es macht mir Schmerzen in der Herzgegend, als ich mich von ihm verabschiede. Das muss er jetzt aushalten, meint die Liebste. Ich auch.
Telefonate mit Mutter und Tante. Tante will am Montag ihren alten Arbeitgeber kontaktieren, dito eine Einrichtung hier in der Stadt, Kann nur hilfreich sein, ich bedanke mich. Tante möchte zur Mutter, das freut mich für sie. Sie braucht Beistand.
Montag, 220718
4.40 Uhr, während ich dies und die letzten beiden Tage beschreibe. Die Nacht war gruselig. Vor 9 zu Bett, um 12 hellwach, eine Stunde, pinkeln, trinken, eine weitere Stunde lesen und dann noch 1.5 Stunden zu schlafen. Arbeit. Sozialdienst … es findet sich.
Schlimmer geht immer. Gespräch mit dem Sozialdienst, ich schildere die beiden Besuche letzte Woche. Die Dame entschuldigt sich, der Personalschlüssel, alles unzureichend, leider. Dann fängt sie an – sie kann frühmorgens im Intranet schon sehen, was sich auf den Stationen zugetragen hat, die Pfleger machen bei jeder Auffälligkeit Einträge. Vater ist renitent, ruft Nachts auf dem Fenster um Hilfe und meint, bestohlen worden zu sein. Man hätte ihn „begrenzen“ müssen. Ich frage nach, was das sei, erfahre, damit sei eine scharfe Anrede gemeint. So, wie er jetzt ist, nimmt den keine Einrichtung. Verlegung Klinik-intern auch schwierig, „ruhigere“ Stationen nehmen auch nur „leichtere“ Fälle. Irgendwie ganz der Alte, denke ich zornig. Sein Lebtag hat er den dicken Kopp durchgesetzt. Gleichzeitg tut er mir unendlich leid. Was für eine Achterbahn an Gefühlen! Was bleibt, ist sein Schicksal Gott zu überlassen. Nach oben abgeben.
Gespräch mit Mutter. Vater vermisst seinen Ehering, den er unbedingt mit in die Klinik nehmen musste. Günstigstenfalls ist der in seiner Geldbörse, die ansonsten nur Krankenkarte und Perso enthält, ungünstigstenfalls ist er wirklich geklaut. Möglicherweise vermisst er auch sein Handy, obwohl er damit nie wirklich und jetzt wohl gar nicht mehr umgehen konnte, kann. Das Ding habe ich gestern aus dem vorherigen Klinikum abgeholt. Ich rufe nochmal den Sozialdienst an und berichte. Sollen sie den Ring suchen und versuchen, ihm zu erklären, dass ich sein Handy habe. Vielleicht nimmt das den Druck aus seinem Kessel.
Am Mittag rufe ich auf Station an, bitte nach dem Ring zu schauen und möchte einen behandelnden Arzt/Ärztin sprechen bzw. einen Termin für ein Gespräch machen. Sie melden sich.
Später Nachmittag. Die Chefärztin ruft mich an. Ich schildere ihr meinen Eindruck vom letzten Freitag und Samstag, informiere über die Krankheitslegende meines Vaters. Erschreckend, wie wenig Informationen fließen, obwohl ich schon zig Kopien weitergegeben habe. Die Demenz sei irreversibel, sagt sie. Mit Glück könne man die Deliranz medikamentös in den Griff bekommen. Eine Verlegung nach Wuppertal ist geplant, frühestens ab Mittwoch, wegen Corona dort. Hier im Tal hätten sie die ortsnahe Möglichkeit eines weiteren CT des Kopfes meines Vaters. Sie möchten die Maschinen am laufen halten. Es gab bereits ein CT, und ja, Einblutungen seien weiterhin vorhanden, aber nicht operationswürdig. Wir sprechen über die Zustände auf der Demenzstation, ich werde vorsorglich schon mal darüber informiert, dass das Klientel in Wuppertal das gleiche sei wie in Remscheid. Ich fühle mich hilf- und machtlos, bitte meinerseits um Führung . Welchen Sinn haben Initiativen, wenn alle Heime voll sind, angeblich? Mein Verdacht ist eher, die Einrichtungen picken sich die Rosinen heraus, da sie derzeit reichlich Auswahl haben. Ich werde weiter machen, tun, was ich kann.
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