Donnerstag 210910

Der Personalausweis ist abgelaufen. Also jenes amtliche Dokument, das anderswo schlicht Passport oder so genannt wird. Schon seit Jahresanfang, aus mir wird wohl kein gutes Personal mehr, von wem auch immer. Also erst mal Bilder machen lassen. Der Fotograf ist nett, nicht nur, weil er mich 15 Jahre jünger geschätzt hat. Wir plaudern gepflegt, leider kann die gelöste Atmosphäre nicht verhindern, dass die Bilder unterirdisch werden ( Brille ab, nicht lachen, gucken Sie doch mal freundlicher – ich grinse – nee, so auch nicht…) Ja wie jetzt, also wird ne Fresse gezogen, das Personal ist unlustig.

Heute dann der Termin beim Einwohnermeldeamt (wieso eigentlich nicht Personalamt, wenn schon, denn schon). Die sind außergewöhnlich gut strukturiert, mittlerweile, mit Online-Terminen und überhaupt. 7.00 Uhr, draußen stehen locker 30 Mitmenschen. Alle Sieben-Uhr-Termine reinkommen, ruft ein Herr, als endlich die Türen aufgehen. Ab da geht es flott, ich komme sofort dran. Datenabgleich, jaja, der Name, Körpergröße, Augenfarbe, Adresse, alles beim alten. Fingerabdrücke sind Pflicht, ist mir recht, beabsichtige ich doch, das neue Ding auch online größtumfänglich zu nutzen, um mir Wege, Zeit sowie überflüssige Begegnungen zu sparen. Nachdem ich der jungen Frau meine grotten-häßlichen visuell herausfordernde biometrische Bilder überreicht habe, sollen Fingerabdrücke genommen werden. Irgend etwas stimmt nicht, die Dame wird etwas nervös. Isser noch nicht wach, frage ich, dem Lesegerät freundlich zunickend, und grinse. Doch, doch, hmm. Liegt wohl an meinen Fingern, wir gehen sie beidseitig der Reihe nach durch, irgendwann muss es ja mal klappen. Was soll ich sagen, das Teil erkennt nur meine Mittelfinger, den linken wie den rechten. Ausgerechnet, sage ich und zaubere der Dame ein kleines Lächeln ins Gesicht. Wir sind fertig, bezahlt wird am Automat mit Karte, abholen in ein paar Wochen. Pippi geht auf dem Amt auch noch, so dass ich entspannt zur Werkstelle fahren darf.

Nachdenklich macht es mich schon, das mit den Mittelfingern. Muss ich doch an mein letztes Arbeitszeugnis denken, dem jeglicher Hinweis auf mögliches Sozialverhalten fehlte, bei ansonsten umfänglich und qualitativ guten Ausführungen. Damals wurde mir erstmalig dokumentiert, was ich schon länger ahnte: Ich habe kein Sozialverhalten, zumindest nicht im landläufigen Sinne. Und nun steht es demnächst auch in meinem Personalausweis. Sei es drum, dann ist das jetzt so.

Quelle: www

Wer einmal anfängt…

… der hört so schnell nicht auf, wenn es spannend wird. Zu Neujahr habe ich beim Wassertiger einen Beitrag geschrieben, im dem im Zusammenhang mit den Sylvesterbräuchen das so genannte Brauchtum verlinkt wurde. Von dort kam ich zur Gruppenkohäsion, die dort kategorisiert und jeweils kurz erklärt wird. Von dort aus geht es weiter:

So Begrifflichkeiten interessieren mich, nicht nur, weil ich den Aufstieg und den Zerfall einer kleinen Werkstatt-Gemeinschaft hautnahe miterlebte bzw. noch mitten darin stecke – sondern auch ganz allgemein, weil mich Gruppenverhalten immer schon fasziniert hat, gerade auch politisch. Vielleicht auch, weil ich mich die meiste Zeit meines Lebens keiner Gruppe wirklich zugehörig fühlte, mich gerade in der Familie in der Vergangenheit wie ein Fremdkörper fühlte. Auch beruflich habe ich stets eine Außenseiterposition eingenommen, was einerseits meiner Natur entspricht, sich aber auch aufgrund meiner Tätigkeitsbereiche so ergeben hat. Das Eine bedingt sehr wahrscheinlich das Andere. Ein leicht bizarres Attest liegt mir in Form eines alten, im Ganzen hervorragenden Arbeitszeugnisses vor, in dem meine fachliche Kompetenz hervorgehoben wird – und jeder Hinweis auf mein Sozialverhalten fehlt (die üblichen Bemerkungen wie „sein Verhältnis zu Kollegen und/oder Vorgesetzten war so oder wie auch immer„) Damit gehe ich heute noch kokettieren, habe ich doch, von höchster Stelle beglaubigt, kein Sozialverhalten und war zumindest früher der Meinung, mir aufgrund dessen einiges erlauben zu dürfen 🙂

Und heute? Einiges ist anders geworden, in den letzten Jahren. So fühle ich mich lange schon meiner Selbsthilfegruppe, der Gemeinschaft der anonymen Alkoholiker, zugehörig. Eine nicht nur für mich überlebenswichtige Bindung, über die ich mit den Jahren zum Glauben gefunden habe und mich somit vor über 12 Jahren aus Überzeugung habe spät taufen lassen. Im Zuge dessen hat sich auch das Verhältnis zur Familie gewandelt, wofür ich sehr dankbar bin. Selbst beruflich hat sich meine Haltung aufgrund der teils bitteren Erfahrungen etwas gewandelt.

Mal schauen, wohin mich die Reise noch führt …

 

Gemeinschaft

Kalte, nasse Novembertage fördern (nicht nur) bei mir die Grübelei. Früh wach geworden, kreisen die Gedanken schon. Aufstehen, die Morgenroutine abarbeiten und nun schreiben …

Die Sehnsucht nach Gemeinschaft in mir. „Einzelgänger“ schon so lange ich denken kann, Außenseiter, immer am Rand. Irgendwann machte ich aus der Not eine Tugend und gefiel mir in der Rolle des Nerds, wie man heute sagen würde. Früher gab es da andere Ausdrücke  …  Psycho war noch fast schmeichelhaft. Da gleiches immer Gleiches sucht und findet, war meine Gesellschaft irgendwann dem entsprechend.

Gemeinschaft in der Arbeitswelt habe ich nicht gefunden. Anstelle dessen Egoismus und Rücksichtslosigkeit, Gier, Neid, Boshaftigkeit. (Gleiches ??) Was folgte, war ein totaler Rückzug auf mich selbst, auf eine Funktion, für die ich bezahlt werde. Ein Nimbus der Unberührbarkeit, ein gewandelter Psycho, der nunmehr, wenn auch geschnitten, so doch für seine fachliche Kompetenz Anerkennung fand.

Beruflich hat sich daran nichts geändert, zu groß ist das Streben nach dem schützenden Kokon. Was dazu führte, dass vor langer Zeit schon in einem ansonsten glänzenden Arbeitszeugnis der sonst so übliche Verweis auf das Sozialverhalten schlicht fehlte. Wertung durch Unterlassung, auch hübsch. Damit habe ich beizeiten kokettiert, wenn mir wer schräge Töne vorwarf. Ich habe eben kein Sozialverhalten, sogar von höchster Stelle anerkannt …

Gemeinschaft in Familie … so allmählich bekomme ich ein Gefühl dafür. Nach weit über einem halben Jahrhundert, aber besser spät als nie. Wärme, die mich durchströmt, wenn die Kinder hier sind, wenn wir alle auf engstem Raum gemeinsam mit den beiden Katern hocken. Auch die Ahnen … wenn schon nicht liebevoll, so doch zumindest heute von einem gegenseitigen Respekt gezeichnet, auf den letzten Metern. Immerhin.

So allmählich weitet sich der Fokus. Seit vielen Jahren schon innerhalb der Gemeinschaft der anonymen Alkoholiker, aber zunehmend auch in der Welt „da draußen“ Vertrauen wächst, in die Schöpfung, in meine mich liebende höhere Macht, in ein geheimnisvolles Gleichgewicht der Kräfte, Vertrauen in Zusammenhänge, die mein eingeschränktes Ego nicht versteht, aber spürt. Da ist Veränderung und sie ist langsam, was die Aussicht auf eine gewisse Stabilität mit sich bringt.

Soviel dazu – der Tag geht gegen Mittag, Brunch steht an.
Habt einen guten Sonntag.

Und – auch, wenn sie nicht scheint …

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