Es ist in die Jahre gekommen, wie man so sagt. Das Dach hängt ein wenig durch, die Fassade bröckelt und auf einem gepflegten, die Nachbarschaft beeindruckenden Vorgarten wird keinen Wert gelegt – alles wächst, wie es mag, nur hin und wieder erfolgt ein Freischnitt, um die Wege noch begehbar zu halten. Haus und Grund wirken irgendwie heruntergekommen, wenn auch mit Charme, den speziellen, für den zweiten Blick. Die Tür macht einen gut gesicherten Eindruck – wer unwillkommen ist, dürfte es schwer haben. Auf Gastfreundschaft wird dennoch viel Wert gelegt, nur eben nicht für jeden.
Es ist ein kleines Haus, zweckmäßig, aber ursprünglich solide auf dem Fundament einer Ruine gebaut, der Typ Bauernkaten vielleicht. Keine hohen Etagen, nur ein geräumiges Erdgeschoss, einen großen Dachstuhl und einen verwinkelten Keller. Es gibt Wohn-Schlafräume ohne klare Trennung, sowie eine große, so schlicht wie zweckmäßig eingerichtete Wohnküche, in der es immer irgendwie so riecht, wie eine Küche riechen soll. Hierher wird der Gast geführt, es hat einen langen Tisch aus massiven Holz, der Platz und Gestühl für viele Menschen bietet. Wenn es des Nachts ganz still ist, flüstern die alten Balken noch von längst vergangenen langen Abenden und den vielen tiefen Gesprächen, aber auch von lauten Gelächter.
Nebenan befindet sich ein Werkraum, der mit den Jahren immer mehr verkleinert wurde. Zwar wird er noch regelmäßig betreten, aber seine Bedeutung ist nicht mehr so existenziell wie noch vor ein paar Jahren und es zeichnet sich ab, dass der verbleibende Teil dieses Raumes irgendwann nur noch zum Hausgebrauch genutzt werden wird. Er war ein großer Teil der Geschichte des Hauses und wird, obgleich er nicht mehr seine frühere Bedeutung hat, in Ehren gehalten.
Der Keller wird nur selten betreten. Nur spärlich beleuchtete Katakomben, Tunnelgewölbe voller Vergangenheit. Hier lagern verstaubte Geschichten, Schicksale, Bücher mit gelebten Leben, es riecht muffig und alt. In den Verschlägen türmen sich Kisten mit ebensolchen Zeug und in einer Nische läuft ein alter Bildschirm, den niemand ausgeschaltet hat, er zeigt eine erotische Romanze in Endlosschleife, ohne Zuschauer.
Die Wohn- und Schlafräume dagegen sind hell und licht, altertümlich und bunt zusammengewürfelt hat sich hier die Gegenwart eingerichtet, auch wenn sich der Staub längst vergangener Jahre seinen Weg aus dem Keller durch die Ritzen des alten Bodens gesucht hat. Allerorten sind Bücher zu sehen, und viele Bilder an den Wänden, Bilder von lieben Menschen aus der Zeit sowie Ecken mit Märchen, figürliche Sagengestalten wie Elfen, Zwerge, Kobolde. Auch hat es mehrere Schreibstuben, hinter dem leicht chaotischen Interieur ist durchaus Interesse für die moderne Zeit erkennbar, mit allen ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Segnungen. Besucher werden hier nur selten eingelassen, nur der innerste Kreis hat Zutritt.
Das Dachgeschoss ist nur über eine Fallleiter betretbar, wird zwar nicht häufig, aber immerhin öfter als der Keller betreten. Der Bewegungsraum ist eingeschränkt, die Dachschrägen bieten einem Kind immer noch genügend Platz, ein älterer Mensch dagegen stößt schnell an seine Grenzen. Hier wohnt die Zukunft, es hat Dachluken mit Blick in den Himmel. Irgendwo steht ein Fernrohr, nach oben ausgerichtet, und in der Mitte des Raumes liegt eine Meditationsmatte.
Eine Heimstatt auf Zeit. Auch, wenn das Verfallsdatum schon geschrieben steht, dominieren neben dem allgegenwärtigen Staub die Klarheit und die Wärme das alte Haus, auf das in manchen Zeiten niemand etwas gegeben hätte.
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