Samstag, 230617

Er ist wieder da.

Über einen Monat lang haben wir ihn nicht gesehen. Natürlich wurde gemutmaßt, was mit ihm wohl geschehen sein könnte – so lange war der noch nie weg. Irgendwann ging das Gerücht um, seine „Besitzerin“ sei mit ihm umgezogen, weit weg. Haben wir geglaubt, weil wir es glauben wollten.

Menschlich, so Wunschdenken. So wie damals, vor langer Zeit mit dem verrenteten Kollegen, der zeitlebens familiär einen schweren Stand hatte und dazu dem Alkohol nicht abgeneigt war. Er ward nach kurzer Zeit nie wieder gesehen und irgend einer ließ uns die schöne Geschichte glauben, er sei abgehauen, von seiner Brut, und verbrächte seine Tage in der Südsee, schön mit langstieliger Meerschaumpfeife, Longdrink und hübschen jungen Frauen. Haben wir gerne glauben wollen, weil die Geschichte so sehr nach einem Happy-End klang und wir allen Beteiligten ihren Anteil gerne gönnen wollten. Natürlich halten solche Geschichten der Wirklichkeit nicht stand. Der Kollege starb vereinsamt in einem Pflegeheim schwerst dement an den Folgen seines Lebenswandels.

Nun kommt er also allmorgendlich wieder lang, der Werkstattkater ohne Namen. Abgemagert, wund, mit langer OP-Narbe unterm Bauch und durchhängendem Bauchfalten, aber immerhin ärztlich versorgt. Hatte wohl Hausarrest, zwecks Heilung. Freudig erregt lässt er die gerade gefangene Maus laufen, als die Kollegin mit ihrem Auto vor Schichtbeginn ankommt. Gut für die Maus und tränenreich für uns alle, den kleinen Penner wiederzusehen.

Wenn es stimmt, dass eine Katze 7 Leben hat, so hat unser Schmutzfuß locker schon 9 verbraucht. Läuft also im Bonus, wenn man so möchte. Aber es gibt ihn noch – Gott sei Dank. Das Los eines Freigängers, immer in Gefahr zu sein. Auch mit geschärften Sinnen werden die meist nicht sehr alt. Unsere „Gefangenen“ dagegen haben gute Chancen auf ein langes Leben. Interessant sind einerseits Vergleiche mit unserem menschlichen Dasein. Faszinierend aber auch, dass selbst „Hauskatzen“ immer ein Stück weit wild bleiben, bei aller Anhänglichkeit und Liebe. Einmal wieder auf sich selbst gestellt, kommen sie auch allein zurecht, sofern sie nicht schon sehr alt sind. Können wir Menschen etwas von lernen, die wir oft genug vor offenen Gefängnistüren verharren, weil uns die Angst vor der Freiheit davon abhält, einfach zu gehen.

Voila … den kriegen wir wieder ins Futter.

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Mittwoch, 210609

Frohe Kunde: ER ist wieder da, der Werkstatt-Kater. Zwei Wochen ward er nicht gesehen, wir haben uns um den Streuner schon Sorgen gemacht. Und dann stand er neulich am frühen Morgen wieder vor der Tür und forderte Futter, in alter Frische. Also beinahe in alter Frische, sein Schwanz hatte Länge und Haare gelassen. Prompt wurde der arme Chinese wieder verdächtigt, er hätte mal genascht. Allerdings wurde der Gedanke allgemein für absurd befunden, hätte der den bedauernswerten Kater, hungerleidend, wie er ausschaut, nach einhelliger Meinung doch eher am Stück zubereitet.

Wie auch immer, der Kater ist wieder da, wenn auch leicht lädiert und der Chinese verdient mehr Respekt, nicht nur mit Blick auf seine Ernährungsgewohnheiten. So sagen wir SIE zu ihm, weil das ist er net gwohnt.

Unsere Diva dagegen kommt so schnell nicht in Verlegenheit, größeres Unglück zu erleiden, so sie denn beim umherfläzen auf dem Boden gesehen wird. Allenfalls ist die Verlegenheit an mir, beizeiten nicht aufstehen zu können, wenn gnädige Frau anderer Meinung ist…

Aufstehen – ein gutes Stichwort und Übergang zum nächsten Thema. Haben doch einige mir mehr oder weniger gut bekannte Menschen derzeit gesundheitliche Herausforderungen zu meistern. Neben allen erdenklich guten Wünschen fällt mir dazu ein Liedchen ein, das mich neulich gefunden hat.

Speziell für S. —

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Mittwoch 200624

Erinnerungen an meine Kindheit werden wach. Es ist nicht das entzückende Bild des liebevoll restaurierten, alten Gefährtes am Straßenrand auf meinem Arbeitsweg, es ist sein Geruch. Alte Dieselmaschinen strömen einen typische Geruch aus, einmalig irgendwie. Wenn ich den rieche, sitze ich wieder als 8-jähriger auf dem Radkasten, beim Heu machen und freue mich drauf, das Teil im Wechsel mit den anderen Kindern auch mal über`n Acker fahren zu dürfen. Gerüche sind nichts als Erinnerungen, die ständig anwachsen, wenn auch mit den Jahren langsamer…

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Sonst so? Der Schwarz-weiße kam mir schon um kurz vor Sechs entgegen, schön auf dem Zebrastreifen, wie es sich gehört, farblich fein abgestimmt. LKW fahren um ihn herum, es ist im gleich, die Gefahr ist ihm nicht bewusst. Er vertraut darauf, dass ihm der Kollege gleich `ne Dose aufreißt, darauf, dass er im Anschluss daran gebührend bekuschelt wird. Er lebt beispielhaft im Hier und Jetzt …

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