Montag, 231023

Heute genau vor einem Jahr starb mein Vater. Wenn ich ihm nachspüre, dann wird mir bewusst, dass die Wut weniger geworden ist und der Trauer Platz gemacht hat. Ernüchternd immer noch manche Erkenntnis, wie ähnlich ich ihm sehe, im Guten und im weniger Guten.

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Wochenstart: Ausparken auf Monte Petrol – Spiegel eingeklappt, es passt locker noch ne Rundschau Ali-Reklame links und rechts dazwischen.

Have a nice Day!

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Und – passend zum neuen Phon habe ich mir sogenannte Ear-Buds besorgt und bin begeistert. So höre ich früh am Morgen zu den Übungen Kitaro und staune über die Wirkung. Irgendwie bin ich immer noch selbst mein größtes Experiment, wenn auch Gott sei Dank nicht mehr so krass wie in längst vergangenen Zeiten.

Wie Kitaro vor 40 Jahren zu mir kam, #Experimente

Wir trafen uns bei den üblichen Verdächtigen, die ich aus einer kurzlebigen und tragisch endenden Kneipenszene kannte. Pillen- und Pulverleute, einer verrückter als der andere. Ich fühlte mich wohl, obgleich ich mich bis auf wenige Ausnahmen auf Haschisch und Alkohol beschränkte. Sie war abgehauen, fort aus dem Puff, mit Hund und Bollerwagen ein paar Tage vor dem Sozialamt ausgeharrt, bis die ihr eine Wohnung vermittelten. Sie kam mit zu mir, der ich damals weit ab wohnte. Weich und offen war ihr Körper, es kam zu dieser Zeit nicht oft vor, dass mich eine Frau so annahm, wie ich war.

Gegenwelt, sie verdiente damals bis zu ihrer Flucht an einem Tag soviel wie ich in einem Monat, fuhr des Morgens über die werktätige Welt lachend im offenen Wagen durch die Stadt. Bis sie es nicht mehr aushielt. In ihrer Geldbörse steckte ein altes, verknittertes Bild von ihrem Vater, mit dem kleinen Mädchen an der Hand. Ein vierschrötiger, stiernackiger Kerl in Hosenträgern, Brutalität atmend. Ein Bild, an dem ich mich noch gut erinnere, wenn auch sonst an nicht mehr viel dieser Zeit.

Neben einer schönen Nacht brachte sie Kitaro und Pulver in mein Leben, verschwand nach kurzer Zeit wieder aus selbigen, derweil ihrem Kerl die Einnahmen stockten und er ihren neuen Aufenthaltsort herausfand. Ihren Namen habe ich vergessen, weiß nicht, ob sie noch lebt. Wir waren annähernd gleich jung… mit ihr ging das Marschierpulver (es sollte nicht wiederkommen), Kitaro dagegen blieb.

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Kennst Du …

…dieses Gefühl ? Du hast einen Plan, irgend einen, wie hier in meinem Fall die Wohnung staubzusaugen. Es ist niemand da, von den dösenden Katzen mal abgesehen, also kommt die Musiksammlung auf dem Smartphon sowie die Kopfhörer zum Einsatz.  So weit, so gut. Du kannst dich nicht für ein Album entscheiden, und um die Sache abzukürzen, lässt Du das Teil auf „Zufall“ laufen. Eine riskante Sache, weil Du keine Ahnung mehr hast, was Du dir jemals alles auf das Phon gezogen hast.

Es beginnt unverfänglich, irgend etwas klassisches, gefolgt von einem Mix aus Fehlfarben, die toten Hosen, JJ Cale, und ja, nicht passt wirklich zueinander, „Zufall“ halt. Bis dann dieses eine Stück kommt, mit dem Du nicht gerechnet hast, von einem Künstler, der dir schon lange nicht mehr präsent ist. Die Zeit scheint mit einem Male nicht nur still zu stehen, sie dreht sich kurzfristig zurück, um über drei Jahrzehnte.

Vor deinem geistigen Auge siehst Du dich noch einmal, erinnerst dich, es passt dir jetzt ganz und gar nicht in den Kram, weil Du den blöden Staubsauger in der Mache hast, der sich besser mit Metallica als mit solch einem sentimentalen Scheiß (also aus der Sicht des Staubsaugers) versteht. Du spürst das, was Du vor Jahrzehnten gespürt hast, es hat nicht die Wucht und schon gar nicht die Macht, die es damals hatte, aber Du spürst es, laut und deutlich, wenn auch nur für einen Augenblick.

In meinem Fall war es diese Mischung aus abgrundtiefer Gott-Verlassenheit, Abenteuerlust und Sehnsucht nach Nähe, damals hübsch garniert mit Pulver der Wahl und anderen psychoaktiven Kräutern, Getränken. Gefolgt von der Erinnerung an einem Menschen, der einmal eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat, der heute weiter entfernt und fremder ist als mancher Stern am Himmel.

Kitarō eben.

Das nächste Stück bringt dich wieder hinunter oder nach oben, je nach Sicht der Dinge. Du wirst wieder zum Krieger gegen den alltäglichen Dreck, auf dem Boden. Geht doch …

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