Offener Brief

Nie hätte ich gedacht, mal etwas von der EMMA zu teilen. Aber nur hier steht der offene Brief in Sachen Waffenlieferungen, adressiert an unseren Bundeskanzler, in voller Länge, soweit ich weiß. Ein kleines Zeichen des dagegen-Haltens angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit unserer Politiker kollektiv ihren Verstand verloren zu haben scheinen. Die damit verbundene Petition habe ich gerade unterzeichnet, sie ist auf dem besten Weg, die am stärksten gegengezeichnete Petition aller Zeiten zu werden.

Donnerstag, 220428

Schiefe Fresse 2.0

Wem es an Demut mangelt, der kann beim Zahnarzt Linderung von diesem Leiden erfahren. Knapp 3 Stunden mit geöffneten Gefräß dort zu sitzen, erdet enorm, gerade wenn Mensch als (digitaler) Handwerker gut vertraut ist mit Geräuschen von Luftschleifern, im Verbund mit größeren und kleineren Werkzeugen. Provisorium ist drin und alles schmeckt irgendwie nach Kunstharz. Mikroplastik am Stück – mal sehen, ob das Ding am vorgesehen Platz bleibt, bis das Original eingebaut wird.

Fortsetzung folgt.

Ansonsten gibt es wenig Gutes zu berichten. Altersbedingtes Leid und Gebrechlichkeit taugen nicht im Detail für den Blog. Spät dran ich bin mit manchen Erfahrungen, aber auch das ist mir vertraut, war es doch irgendwie immer schon so. Das Beste zum Schluss? Das große Kind grinst immer, wenn ich Pizza esse, zuerst den Rand als das weniger schmackhafte, aber eben dazugehörig und auch irgendwie nahrhaft rundherum abgefressen und dann den leckeren Mittelteil.

Leider ohne Gewähr, das Prinzip Pizza, übertragen auf das Leben.
Aber immerhin eine Möhre vor der Nase.

Samstag, 220423

Vor- und Nachteile einer eingepflanzten Maschine: Vorteil sind viele geschenkte gute Jahre. Der Nachteil wird ungefragt und ungeplant gleich mitgeliefert, nur zeitversetzt. Viele weniger gute Jahre, derweil Mensch zwar sterben muss, aber nicht an der ursprünglich schwächsten Stelle sterben wird, wie es der Natur entspricht. Hat niemand auf dem Schirm, wenn ihm so eine Maschine offeriert wird, das sagt auch keiner laut, zuvor. Und so muss Mensch lange leiden, das ist der Preis für die geschenkten guten Jahre.

Klingt distanzierter, als es sich anfühlt.

Sonst so? Geknackte Tagesroutine dank Urlaubs-bedingter Unterstützung. Passt gut in diese Zeit zwischen Arbeit, Teststation und Klinik. Ab Montag wieder Business as Usual, dann bleibt halt was liegen.

Und zum Schluss noch getragene Musik, inspiriert von einem bizarren Bild. Danke dafür, A. Wer den Film kennt, weiß auch um die Analogie zum betroffenen Organ.

Oder lieber doch das Original?

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Mittwoch, 220413, zweiter Versuch

Den ersten wortgewaltigen und langen Versuch veröffentliche ich nicht, der entstand gerade aus der Empörung. Keine gute Basis für öffentliche Beiträge, zumal wenn sie politisch sind. Und dabei belasse ich das jetzt. Nur soviel: Nicht in meinem Namen riskiert ihr, die ihr unser Land gerade regiert, das Blut unserer Kinder und lasst euch dafür noch beleidigen, als Dank für die Gastfreundschaft, die ihr – auch in meinem Namen – den geschundenen Menschen gewährt.

Sonst so?

Schönheitswahn – dazu gibt es hier einen guten Beitrag. Man kann durchaus auch Haltung und Mensch-sein bewahren, wenn das eigene Gesicht irgendwie an einen Boskoop im Mai erinnert.

Nettes Liedchen dazu:

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Montag, 220411

Schiefe Fresse

So langsam lässt die Betäubung nach, aber immer noch sieht mein Gesicht arg asymetrisch aus. Mal läuft etwas unkontrolliert außenbords und erste Schmerzen stellen sich ein. Ein Weisheitszahn ist heraus, ging tatsächlich sehr schnell, wie sie mir versprochen haben. Die Nase darf ich mir nicht putzen, derweil dort oben Neben- und Kieferhöhle dicht beieinander liegen. Seis drum, ich gehe heute eh nicht weg und den Katzen isses wurscht, wie ich ausschaue. Lokale Betäubung war natürlich in Ordnung, auf eine Sedierung zuvor wollten sie sich nicht einlassen, Versicherungsrecht und so, keine Begleitperson. Da müsste ich einen Termin machen und wiederkommen, eben mit irgendwem an meiner Seite. Dazu hatte ich erst recht keine Lust, besteht der Großteil der Marter doch für mich in der Warterei. Wenn ihr wüsstet, in welchen Zuständen ich schon allein durch die Stadt gegangen bin…. dachte ich und beließ es bei dem Gedanken, krude Lebenserinnerungen haben keine Chance gegen Versicherungsrecht. Also raus damit, jetzt und hier. Ein passendes Finale nach einem unguten Wochenende. Darüber hinaus Preise eingeholt, zum Wiederaufbau anderer Ruinen, die aber noch zum kauen benötigt werden. Wird weitergehen, nach Ostern. Geschoben habe ich lange genug. Auch die längsten Abschiede finden irgendwann ihr Ende und dieses Jahr scheint dafür geschaffen. So Gott will, in mehrfacher Hinsicht.

Sonst so?

40 Jahre Hosenscheiß. Dazu passt eine kleine Doku-Reihe über ihren illegalen Gig in Ostberlin, sehenswert. Und ja, 60 wird er auch bald, dieses Jahr, der Andi Frege alias Campino. Paar Tage nach mir, auch im Juni. Keine große Sache, es werden viele dieses Jahr 60, so sie denn noch leben, wir waren zahlreich. Aber nur einer hat so ein nettes Liedchen dazu geschrieben:

Wird wohl auch gefeiert werden, dieses Jahr …

Freitag, 220408

Der vorläufig letzte Werktag, die Freuden der Pflicht machen zumindest hier ein wenig Pause. Auch ich möchte ab nun meine Augen schonen, Nachrichten nur noch auditiv vernehmen. Bilder habe ich auch so mehr als genug. Wer wie ich schon als Dreijähriger jede zweite Nacht von Feuer geträumt hat, wird das verstehen. Exakt jede zweite Nacht, eine Nacht durchschlafen, eine Nacht Alpträume, mit Horror aller Art, vorzugsweise Feuer. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern die Bilder. Die kamen später dann zu mir. Meine Therapie bestand zunächst aus 22 Jahren Suchtgeschichte in verschiedenen Ausprägungen, natürlich am Ende erfolglos. Das ist alles lange her und doch noch nah.

Von wegen Feuer – Lesestoff, ohne Paywall:
Allgemeinwissen
Vom Gleichgewicht
Schmerzen
Was wäre wenn

Und nein, niemand muss aus Höflichkeit „Gefällt mir“ drücken.

Donnerstag, 220407

Das Leben ist ernst genug und das allermeiste, was derzeit so geschieht, unterliegt eh nicht meinem Einfluss. Also mal kurz zurücklehnen …

Milieu-Studie

Unsere Werkstatt hat eine Gemeinschaftstoilette. Eher spartanisch ausgestattet und immer noch Erstinstallation, bis auf Sitze und Schüsseln. Proleten brauchen kein ansprechendes Ambiente, und auch sonst – es ist eng zwischen den oben wie unten offenen Stahlwänden, verziert mit zahllosen größeren und kleineren Kunstwerken. Müßig zu erwähnen, dass ich diesen Ort nicht sonderlich schätze und meine Verweildauer auf das erforderliche Minimum beschränke, was ja auch in der tiefen Absicht des Arbeitgebers liegt.

Ich erledige also unvermeidlich meine großen und kleinen Geschäfte, als ein Kollege oder wer auch immer die Lokalität betritt. Hektisch werden Türen geknallt, ebenso gnadenlos wird an einem Reiß(!)verschluss gerissen – rikk-rikk-rakk – Stoffgeraschel, mutmaßlich zwischen Hemd und Hose, all dies spricht von großer Nervösität, verbunden mit extremsten Wasserstand, wer kennt das nicht. Neu allerdings ist mir die leise, gepresste Stimme, begleitend zur Geräuschkulisse: Komm-raus-du-musst-bloß-pissen – bevor endlich der erlösende Wasserstrahl zu hören ist.

Das sind die wahren Menschheitsnöte, denkt es in mir. Und dass mein Schöpfer sich etwas dabei gedacht haben muss, mich tagtäglich hierher zu schicken. Sinn für Humor hat er offensichtlich, soviel ist sicher.

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Mittwoch, 220406

Sie reden von Kriegsverbrechen. Es gibt keine Kriegsverbrechen – das ist wie Hosenträger und Gürtel, jeder Krieg an sich ist ein Verbrechen. Es gibt auch keinen „Ehrenkodex“ für Militärs, außer auf dem Papier. In jedem Krieg gibt es nicht nur „militärische“ Ziele. Wenn ich diese Mär vom „sauberen“ Krieg höre, mit „präzisen Schlägen“ gegen militärische Einrichtungen, dann könnte ich kotzen. Wann hört die Welt eigentlich auf, uns so eine Scheiße verkaufen zu wollen? Das mit dem „Ehrenkodex“ hat sich spätestens dann erledigt, wenn ein Soldat das erste Mal miterlebt, wie ein Kamerad sich in mehrere blutige Fleischklumpen verwandelt. Oder wenn einer mit gezogener Waffe vor ihm steht – und du machst das jetzt – schreit. Befehlsverweigerung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Der mit der gezogenen Waffe ist in dem Moment das Gesetz – Legislative, Judikative und Exekutive in einer Person, gerade letzteres im wahrsten Wortsinn. In ausnahmslos jedem Krieg wird gemordet, gebrandschatzt, geplündert, gefoltert, vergewaltigt, gedemütigt, verstümmelt, geschändet.

Nicht alles glauben, was zu sehen ist? Würde ich gerne. Digital nachbearbeiten und fälschen lässt sich sehr viel, aber oft genug entsprechen die Bilder den Tatsachen. Die jüngsten Bilder glaube ich, siehe oben. Nicht alles glauben, was zu hören ist – wenn ich die Anwürfe des ukainischen Präsidenten gegen europäische Politiker höre, die ihrerzeit gemäßigten Umgang mit Russland pflegten, dann denke ich, auch große Not rechtfertigt keine Beleidigungen der wenigen verbliebenen Freunde, die helfen, wo sie können. Sie rechtfertigt auch nicht, keine Gelegenheit auszulassen, einen (noch) regional begrenzten Konflikt zu internationalisieren zu wollen.

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Ein Onkel meines Vaters war vom Beginn des Überfalls der Wehrmacht an bis ca. Frühjahr 1944 Soldat in Russland. Er nutzte einen Heimaturlaub, um zu desertieren. Als Kind lernte ich ihn kurz vor seinem Tod noch kennen, ein damals schon alter gebrechlicher Mann, der nicht über den Krieg sprach. Mein Vater erzählte mir irgendwann, er sei abgehauen, weil selbst Unmengen an Alkohol nicht mehr verdrängen konnten, was damals von ihm in Russland erwartet wurde. Dieser Mann versteckte sich ein Jahr lang mit stets geladener Waffe in Reichweite bei irgendwelchen Liebschaften, war mehrfach kurz davor, die Waffe auch benutzen zu müssen, wenn ihm die Schergen auf den Fersen waren. Er hat überlebt und durfte noch viele Jahre in Frieden verbringen.

Samstag, 220402

Der Blick aus dem Fenster gleicht einem schlechten Witz – selbst hier unten im Tal alles weiß. Ungewohnt, weil schon lange nicht mehr gesehen um diese Jahreszeit, früher dagegen nicht ungewöhnlich. Dann ist das jetzt so – banales Spätwinterscheißwetter. Ohne Fellbewuchs ist die Wohlfühlspanne eh sehr klein, bei mir geht sie so von 20-24 Grad, darunter fängt Frisch heute an, darüber Boah, ist dat warm. Eigentlich sind wir kaum lebenstüchtig ausgestattet, armselige Geschöpfe mit einem viel zu großen Kopf, der hilfreich zwar beim jagen, sammeln und erfinden von allerlei Nützlichen (Kunstfell), aber ansonsten nur schwer auf dem Hals sitzt.

Zu viel Kopf (und zu wenig Vertrauen), auch im übertragenen Sinn ein Thema. Ein paar Gedanken dazu stehen hier beim Wassertiger. Erinnert an die alte Menschheitsfrage nach dem Ei und dem Huhn. Wer war zuerst da, die Glaubenssätze oder die dazu passenden Ereignisse?

Gute Nachrichten hat es auch. Geht los mit grünen Wasserstoff, in Frankreich. Vielleicht auch bald hier, wenn die hiesigen Klagemöglichkeiten gegen Windräder endlich mal eingestampft werden sollten. Wäre ein Treppenwitz der politischen Geschichte, wenn ausgerechnet die nun gerade mitregierenden Grünen das in der jetzigen Lage mitverantworten müssten. Gemeinwohl vor Wohl des Einzelnen, bisken aus der Mode gekommene Weisheit, aber immer noch aktuell.

Zum Schluss noch Gedanken zur menschlichen Unschuld, ein Thema, das auch mich bewegt. Hier bei der lieben Luxus nachzulesen.

If you made them
and they made you
Who picked up the bill,
and who made who?

~