Mittwoch, 230719

Dieser Tage, im botanischen Garten zu Wuppertal, der schon so etwas wie unser oder besser mein sommerliches Wohnzimmer ist. Eine meist friedliche, menschengemachte Oase, die gerade im Sommer vor Leben nur so strotzt. Ich liebe es, ruhig dazusitzen und den zahllosen Hummeln wie Wildbienen bei der Arbeit zuzuschauen. Dieser Ort söhnt mich ein wenig mit meiner Spezies aus, mal kommt durch Menschenhand nicht nur Hübsches, sondern auch Nützliches zustande.

Nebeneffekt: Milieustudien und soziales Training meinerseits. Wenn ich das Haus verlasse, nehme ich mir jedes Mal vor, meinen Mitmenschen mit dem gleichen Respekt zu begegnen, den ich mir auch von ihnen wünsche. Banal? Mitnichten, für mich. Nicht zuletzt deswegen habe ich mir ein so genanntes Deutschlandticket besorgt, Reisen bildet, mal davon abgesehen, dass die Liebste auch so ein Ding hat und wir so auch gemeinsam umherziehen können. Heute also Milieustudie, schön am Seerosenteich. Ich bin jetzt allein hier, kommt öfter vor. Allein habe ich einen etwas anderen Blick auf meine Mitmenschen, kann ihnen schlicht mehr Aufmerksamkeit widmen. Nebenbei ist das auch eine Kunst, dies zu tun, ohne aufdringlich zu wirken.

Es sind versammelt – die schlanke alte Dame mit ihren Gehhilfen, Alter schwer zu schätzen, irgend etwas um die 80 vielleicht. Sie strahlt mit ihrem dicken blonden Pferdeschwanz eine möglicherweise ostpreußische Form von Schönheit und Würde aus, spricht nicht viel und sitzt dort, wo sie immer sitzt, wenn die Sonne scheint. Selten ist sie allein, irgendwer gesellt sich immer zu ihr.

So auch heute, zwei weitere übliche Verdächtige sitzen mit am Seerosenteich. Auch sie kenne ich flüchtig vom sehen dort. Er um die 70, schlank, Raucher, nervös und mit irgendwelchen neurologischen Schäden behaftet, die sein ganzes Gesicht regelmäßig zucken lassen, gerade, wenn er sich in Stimmung redet, was oft vorkommt. Die Dritte im Bunde ist jünger, in etwa mein Alter, also um die 60. Sie redet ohne Punkt und Komma, macht sich ständig kryptische Notizen in einem Block und hat etwas in ihren Augen, was mich vorsichtig formuliert zurückhaltend agieren lässt.

Er redet viel von Gott. Am Ende würde abgerechnet, meint er und fragt mich, glauben Sie an Gott? Schon, sage ich, aber mein Gott straft nicht. Nicht?, meint er. Nee, sage ich, wenn er gerade nicht bei mir ist, habe ich mich von ihm abgewandt. Wenn ich es zulasse und mein Ego auf seinen Platz verweise, dann isser bei mir. Ist schon eine verlässliche Größe, mein Gott. Und so entspannt sich ein kleiner theosophischer Austausch, wie ich ihn liebe.

Meine, wie sich herausstellt Jahrgangsgenossin dagegen ergeht sich in Unverständnis, hart an einer Schimpfkanonade vorbei, was die kommunalen Ordnungsbehörden einerseits sowie die Exekutive allgemein angeht. Die hätten ihr die Fahrerlaubnis einkassiert, und das ihr, die sie ihr Auto so geliebt hätte. Auch an Ärzten lässt sie kein gutes Haar, sie solle Medikamente nehmen, was sie aber nicht täte, alles ungesund, überhaupt.

Nun weiß ich, das hierzulande niemanden einfach so der Lappen abhanden kommt und in der Regel auch niemand anlasslos irgendwelche Medikation verordnet bekommt. Vorsichtig frage ich nach, um die Kommunikation in Schwung zu halten, was zur Genüge wirkt. Es folgt ein weiterer Schwall lautstarkes Unverständnis. Man dürfe hier gar nichts mehr, ihr Nachbar damals und so, sie hätte ihm Bescheid gegeben, noch nicht einmal beleidigend, nur eine kleine Ordnungsschelle, das sei doch weit weniger schlimm als manche persönliche Verunglimpfung. Eine Einschätzung, die sei ernst meint. Sie könne noch ganz andere Sachen, hätte mal Selbstverteidigung gemacht, meint sie, während sie blitzschnell aufsteht, sich vor mir aufbaut, ein Arm gerade auf mich richtet und mich mit einem irre glitzernden Augenausdruck bedenkt, den ich kenne, von vor langer Zeit. Andere Geschichte, da ging es um Tavor-Dauerkonsum einer Damenbekanntschaft und was passieren kann, wenn für einen Moment das Tavor-Lächeln Pause macht.

Ich nehme es gelassen und freundlich, weil ich schon wesentlich derangiertere Menschen getroffen habe, erzähle ein wenig von mir, wie ich einst zu meinem Glauben gefunden habe, so Sachen. Sie sitzt längst wieder und wir plaudern weiter, nur scheinbar belanglos, denke ich.

Sie wirken so ruhig, sind Sie vielleicht Lehrer, fragt der Nachbar. Höre ich auch nicht zum ersten Mal, möchte ihn gerne an die Liebste verweisen, die das mit dem ruhig-sein glaubwürdig richtig stellen könnte, was sie natürlich nie tun würde. Nee, sage ich, Industrieschauspieler, kriege auch keinen Lohn, eher Gage und wir haben Spaß, bevor meine Uhr mir rät, so langsam an den Heimweg zu denken. Den lege ich zu Fuß zurück, ein leichtes Übermaß an Plauderei produziert bei mir Bewegungsdrang.

Bis zum nächsten Mal, bei schönem Wetter.

Sonntag, 210307

Aktuell: Brief geschrieben, nachzulesen HIER beim Wassertiger.

Kein Schnee, aber von gestern: Wieder eine Runde über bis dahin unbekannte Wege, gleich nebenan, dieses mal mit GPS. Eine Runde entlang der Autobahn, Berge und Treppen hinauf und hinunter, ungläubiges Staunen über die Behausungen und Gefährte mancher Menschen in einem durchquerten Bungalow-Viertel. Alles in allem knapp 2 Stunden bei 7 Km und ca. 10000 Schritten. Gute Kür.

Begegnungen dieses Mal nur wenige. Eine junge Frau mit Hund, der es sich nicht nehmen ließ, mich anzuspringen. Was dennoch einen netten kleinen Dialog nach sich zog, meine Frage nach dem Weg betreffend. Jaa, DA geht es den Berg hinunter, und wenn Sie DORT lang gehen – geht es auch den Berg hinunter. Vielen Dank, so genau wollte ich es jetzt nicht wissen – Gelächter und gegenseitige gute Wünsche, bezogen auf den weiteren Verlauf des Tages.

Ein Rentner mit schrägem Gefährt lud zum verweilen und plaudern ein:

Und – Heute hat eine junge Dame Geburtstag, den zweiten. Herzlichen Glückwunsch!

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