Gemeinschaft

Kalte, nasse Novembertage fördern (nicht nur) bei mir die Grübelei. Früh wach geworden, kreisen die Gedanken schon. Aufstehen, die Morgenroutine abarbeiten und nun schreiben …

Die Sehnsucht nach Gemeinschaft in mir. „Einzelgänger“ schon so lange ich denken kann, Außenseiter, immer am Rand. Irgendwann machte ich aus der Not eine Tugend und gefiel mir in der Rolle des Nerds, wie man heute sagen würde. Früher gab es da andere Ausdrücke  …  Psycho war noch fast schmeichelhaft. Da gleiches immer Gleiches sucht und findet, war meine Gesellschaft irgendwann dem entsprechend.

Gemeinschaft in der Arbeitswelt habe ich nicht gefunden. Anstelle dessen Egoismus und Rücksichtslosigkeit, Gier, Neid, Boshaftigkeit. (Gleiches ??) Was folgte, war ein totaler Rückzug auf mich selbst, auf eine Funktion, für die ich bezahlt werde. Ein Nimbus der Unberührbarkeit, ein gewandelter Psycho, der nunmehr, wenn auch geschnitten, so doch für seine fachliche Kompetenz Anerkennung fand.

Beruflich hat sich daran nichts geändert, zu groß ist das Streben nach dem schützenden Kokon. Was dazu führte, dass vor langer Zeit schon in einem ansonsten glänzenden Arbeitszeugnis der sonst so übliche Verweis auf das Sozialverhalten schlicht fehlte. Wertung durch Unterlassung, auch hübsch. Damit habe ich beizeiten kokettiert, wenn mir wer schräge Töne vorwarf. Ich habe eben kein Sozialverhalten, sogar von höchster Stelle anerkannt …

Gemeinschaft in Familie … so allmählich bekomme ich ein Gefühl dafür. Nach weit über einem halben Jahrhundert, aber besser spät als nie. Wärme, die mich durchströmt, wenn die Kinder hier sind, wenn wir alle auf engstem Raum gemeinsam mit den beiden Katern hocken. Auch die Ahnen … wenn schon nicht liebevoll, so doch zumindest heute von einem gegenseitigen Respekt gezeichnet, auf den letzten Metern. Immerhin.

So allmählich weitet sich der Fokus. Seit vielen Jahren schon innerhalb der Gemeinschaft der anonymen Alkoholiker, aber zunehmend auch in der Welt „da draußen“ Vertrauen wächst, in die Schöpfung, in meine mich liebende höhere Macht, in ein geheimnisvolles Gleichgewicht der Kräfte, Vertrauen in Zusammenhänge, die mein eingeschränktes Ego nicht versteht, aber spürt. Da ist Veränderung und sie ist langsam, was die Aussicht auf eine gewisse Stabilität mit sich bringt.

Soviel dazu – der Tag geht gegen Mittag, Brunch steht an.
Habt einen guten Sonntag.

Und – auch, wenn sie nicht scheint …

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Bewegender Bericht

Gerne würde ich mehr zahlen, wüsste ich, es würde besser.

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Sehr geehrter Herr Spahn,
gerade komme ich aus der Nachtschicht. Ich bin erschöpft, verärgert und enttäuscht. Ich möchte Sie keinesfalls persönlich für die Misstände im Gesundheitssystem verantwortlich machen, jedoch komme ich heute nicht zur Ruhe, ohne Ihnen folgendes mitzuteilen. Aber besser von Beginn an: Mein Name ist Johanna Uhlig. Ich arbeite seit vier Jahren als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf einer neonatologischen Intensivstation. Meine Arbeit verrichte ich in einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Unser Patientenklientel sind Früh- und Neugeborene. Im Zuge meiner Weiterbildung zur pädiatrischen Intensivpflegefachkraft, arbeite ich aktuell auf einer pädiatrischen Intensivstation mit einem Patientenspektrum von null bis achtzehn Jahren. So habe ich auch Einblick in andere Fachgebiete erhalten. In der Kinderkrankenpflege ist der Personalschlüssel im Vergleich zur Kranken- und Altenpflege noch verhältnismäßig ordentlich. Trotzdem spürt man auch hier bereits den Wandel des Pflegefachkräftemangels. Erfahrene Kollegen kündigten, weil sie die immer schlechter werdenden Bedingungen und den drohenden Qualitätsverlust nicht mehr persönlich mittragen konnten. Es gab Kündigungen von jungen Kollegen, die sich nach einigen Monaten gar nicht erst vorstellen konnten, diese Arbeit im Dreischichtsystem fortzuführen. Selbst Auszubildende, welche die Ausbildung abgeschlossen haben, orientieren sich sofort um und treten erst gar nicht in den Berufsstand. Was mich demotiviert ist die Tatsache, dass ich die meiste Zeit überhaupt nicht das praktizieren kann, was ich ursprünglich gelernt habe: patientenorientierte, kompetente und evidenzbasierte Pflege. In einem solchen Beruf gibt es immer wieder Tage, an welchen ein Notfall den anderen jagt und man das Gefühl hat sich vierteilen zu müssen. Das ist normal. Allerdings ist es nicht normal, dass sich aktuell fast JEDER Dienst so gestaltet und man nur noch das Unerlässliche am Patienten verrichten kann. Der Pflegenotstand als solches ist relativ. Viele Personen führen die Berufsbezeichnung eines Pflegeberufes. Ihre Examensurkunde haben sie zuhause in einer Schublade liegen. Viele dieser Pflegekräfte haben den Beruf verlassen – aus Gewissensgründen, aus gesundheitlichen Gründen oder sie haben schlichtweg die Notbremse für sich selbst gezogen.
Ziel sollte daher nicht nur eine bessere Bezahlung sein. Menschen erlernen diesen Beruf möglicherweise durch finanzielle Anreize eines guten Verdienstes. Aber aus aktuellem Anlass kann ich Ihnen sagen, dass keiner meiner Kollegen geblieben wäre, selbst wenn man ihnen deutlich mehr Gehalt angeboten hätte. Die Arbeitsbedingungen müssen sich radikal ändern. Mein Partner ist besorgt, wütend und weist mich des Öfteren darauf hin, dass es nicht sein kann, dass ich während meiner gesamten Schicht weder etwas gegessen, noch getrunken habe. Aber was ihn am meisten erschreckt, ist, dass es mir häufig nicht möglich ist zur Toilette zu gehen. Das ist jedoch die Regel. Pflegekräfte machen bei ihrer persönlichen Fürsorge Abstriche, um die Pflege am Patienten auf einem möglichst guten Niveau zu halten. Nicht nur aus Fürsorgepflicht, sondern auch aus Angst etwas zu vergessen, nicht korrekt zu dokumentieren und am Ende mit einem Fuß im Gefängnis zu stehen. Wir springen ein, wenn Kollegen ausfallen. Wir verschieben Urlaub, wenn die Schichten sonst nicht besetzt werden können. Wir machen unseren Job gerne! Aber viel mehr können wir Pflegekräfte in Deutschland nicht mehr geben! Das Gesundheitssystem stürzt ein wie ein Kartenhaus. Die stationäre Versorgung ist in der Kranken- und Altenpflege zuweilen katastrophal. Während meiner Ausbildung habe ich auch Einblicke in die Altenpflege bekommen: Ältere Herrschaften melden sich zum Toilettengang, aber aus akuter Personalnot werden sie gebeten, es doch „einfach laufen zu lassen“, schließlich hätten sie ja eine Einlage. Patienten äußern Schmerzen, die Pflegekraft jedoch ist im Nachtdienst allein. Sie schafft es durch das hohe Arbeitsaufkommen nicht, zügig ein Schmerzmittel zu verabreichen. Wer kann da noch ohne Angst und mit Vertrauen als Patient in ein Krankenhaus oder Pflegeheim gehen? Herr Spahn, niemals würde ich Ihnen wünschen krank zu werden. Aber diese Zustände würden Sie wohl gar nicht am eigenen Leib erfahren, da Sie das Privileg einer Privatstation genießen.
Auch in der ambulanten Versorgung gibt es massive Engpässe. Schwangere Frauen finden kaum noch Hebammen. Auf einen Termin beim Facharzt muss man Wochenlang warten. Einen Kinderarzt muss man sich am besten schon direkt nach der Zeugung suchen. Auch hier tun die niedergelassenen Ärzte ihr Bestes: Öffnen die Praxen immer früher am Morgen, nehmen dringende Patienten trotzdem irgendwie an und bekommen am Ende noch nicht einmal alle erbrachten Leistungen vergütet!? Meine Mutter arbeitet in der ambulanten Krankenpflege in meinem Heimatdorf. Auch hier kündigen Kollegen und kaum einer bleibt bei der Stange. Die Menschen zu Hause warten auf eine Pflegekraft, die ihnen aus dem Bett hilft, die Tabletten verabreicht und bei Bedarf das Insulin spritzt. Aber was passiert, wenn eines Tages niemand mehr kommt?
Das alles sind alarmierende Signale. Die Dinge laufen aus dem Ruder!
Ab 2020 kommt dann noch die generalistische Pflegeausbildung. Für mich ist das die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Probleme. Natürlich ist die Regierung davon überzeugt, damit eine super Sache auf den Weg gebracht zu haben. Vor allem um die Altenpflege aufzuwerten. Gleichzeitig soll damit aber auch der Pflegenotstand bekämpft werden. Durch einen allgemeinen Abschluss als Pflegefachmann/- fachfrau kann man universell in jedem Fachbereich (Alten-/ Kranken-/ Kinderkrankenpflege) arbeiten. Ich habe drei Jahre eine Ausbildung speziell in der Kinderkrankenpflege gemacht. Niemals wäre ich in der Lage, ältere Menschen derart kompetent zu versorgen, wie ein/e examinierte Altenpfleger/in. Genauso wenig qualifiziert wäre diese Person für die Pflege meiner 500g schweren Patienten. Jedes Patientenklientel hat besondere Bedürfnisse und spezielle physiologische Gegebenheiten. Diese zu kennen ist unerlässlich! Allein mit einer einjährigen Spezialisierung innerhalb der generalistischen Pflegeausbildung ist dies nicht möglich. Niemals kann das gleiche Wissen vermittelt werden, wie in spezialisierten Ausbildungsberufen. Dies wird zu Kompetenzverlusten, Fehlern und im schlimmsten Fall zum Tod von Patienten führen. Spezialisierung ist unglaublich wichtig! Ich könnte meine Weiterbildung sonst auch einfach sein lassen. Übrigens zeigen sich Weiterbildungen in der Pflege kaum auf dem Gehaltszettel. Man investiert Zeit und Energie, um für seinen Arbeitgeber ein attraktives Aushängeschild zu sein. Letztendlich wird man auch für diese erworbenen Kompetenzen nicht entlohnt.
Als Pflegekraft verstehe ich nur einen Bruchteil der Finanzierung im Gesundheitswesen. Aber ich weiß, dass einiges in die entgegengesetzte Richtung läuft und Gelder in die falschen Töpfe fließen. Daher bitte ich Sie, Ihren Auftrag als Gesundheitsminister ernst zu nehmen! Kämpfen Sie mit uns allen für ein Gesundheitssystem, in dem Menschen verantwortungsvoll und kompetent versorgt werden können. Pflegekräfte sollten keine Angst um ihren Berufsstand haben müssen!

Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft – sie verdienen menschenwürdige Pflege.

Ältere Menschen haben in ihrem Leben viel für unsere Gesellschaft geleistet – sie verdienen menschenwürdige Pflege.

Pflegekräfte tragen enorm viel zu einer funktionierenden Gesellschaft bei – sie verdienen menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Freundliche Grüße,
Johanna Uhlig

 

Quelle:

Die Balance — miasraum

Menschen, die alles haben, zumindest materiell gesegnet zu sein scheinen, neigen dazu, nicht genug zu bekommen. Ein mir vertrauter Zustand, auch aus meiner eigenen Geschichte. Ein Zustand, den ich auch aktuell immer wieder erleben muss, bei anderen.

Genug ist der Schlüssel …

Danke für das zeitlose Dostojewski-Zitat, liebe Mia.

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Zwischen Tag und Abend nachgedacht: Das Leben würde ja wirklich weniger Spaß machen, wenn alles immer einfach wäre und alles immer reibungslos verlaufen würde. Wir würden das Gute gar nicht zu schätzen wissen, es irgendwann auch gar nicht mehr wirklich registrieren und wir wären weniger achtsam mit uns und unserem Leben.Es ist immer die Mischung,…

über Die Balance — miasraum

Loser Sonntag

Unsere beiden Kater lauschen dem Regen und dösen, jeder auf seinem Lieblingsplatz. Männerwirtschaft dieses Wochenende, die Liebste ist unterwegs und ich habe ungewohnt viel Zeit, das fühlt sich an wie Ruhe vor dem Sturm, angesichts der kommenden Wochen. Das Jahresende ist wie immer gefüllt mit Terminen und Arbeit.

Allein? Ja. Einsam? Eher nicht, meine höhere Macht ist ja bei mir, wenn ich mich nicht abwende. Mein imaginärer, unsichtbarer Freund, wie letztens jemand im Netz abfällig bemerkte. Ein Linker Idealist, der sonst ganz in Ordnung schien. Ich mag Idealisten, auch, wenn ich selbst mich nicht unbedingt so bezeichnen würde. Nachdem ich ihm erklärte, dass wir beide im Grunde das gleiche wollten und mein unsichtbarer, imaginärer Freund dabei sicherlich nicht schaden würde, war erst einmal Ende der Diskussion.

Es gibt so vieles, das größer ist als mein Ego und ich. Kinder zum Beispiel, die sich wie Bolle über den Besuch ihrer Tante freuen. Selbst war ich auch mal so ein Kind und es gab nicht so viele treue Menschen um mich. Oder anderes – der Fortbestand meiner Selbsthilfegruppe, auch, wenn mir die Dienste manchmal lästig sind.

Es ist die Mischung … aus dem so genannten freien Willen und dem meiner höheren Macht oder besser, die Kunst, die beiden zusammen zu bekommen.

Sonst so? Die Mediatheken sind dieser Tage voll mit Dokumentationen über die Geschehnisse von vor 80 Jahren in Deutschland. Ich kann das nicht sehen, ohne dass mir die Tränen kommen. Dennoch schaue ich es mir an, die Auseinandersetzung damit ist wichtig für mich. Mit meiner Familiengeschichte – eine von Abermillionen, eine Geschichte mit Opfern, Tätern, Mitläufern.

Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen (Primo Levi)

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The day after

Ich mag, was er schreibt.
Wie er schreibt.
Und auch sonst … lesenswert !

Warum bin ich so fett?

Der Tag danach. Muskelkater. Nein. Muskel-Monster-Saurier. Bislang nur im Arsch und in den Beinen. Der Rest dürfte spätestens Morgen folgen. Morgen ist übrigens wieder Zahnarzt. Zähne abholen.

„Abholen“ ist übrigens ’n gutes Stichwort: Wer sich irgendwas abgewöhnen will, sollte sich nicht in die Rolle drängen, irgendwas zu ertragen, abzuwarten oder auszuhalten. Er muss in die Rolle des Abholenden schlüpfen. In die Rolle des Angreifenden. Des Angreifers. Wir greifen das Fettsein an. Wir sind keine Opfer der eigenen Sucht mehr, wir sind Angreifer und haben unser Ziel vor Augen: Wir holen uns ab, nicht mehr fett zu sein.

Wir gehen nicht zum Zahnarzt, um ’n paar Stunden in ’nem ungemütlichen Zahnarzt-Stuhl auszuharren in der Hoffnung, nicht allzu viel leiden zu müssen und das alles hoffentlich bitte möglichst schnell vorbei ist.

Nein.

Wir gehen zum Zahnarzt, um uns ’ne neue Fresse abzuholen.

„Hier bin ich, Herr Doktor. Legen Sie los.“

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