Sonntag, 200830, am Abend

Was ist schon, wie es scheint? Ein Spiegelbild macht das deutlich, wenn auch nur auf visueller Ebene. In jüngster Zeit frage ich mich, woher diese weit verbreitete Orientierungslosigkeit kommt, die so seltsame Blüten treibt. Ist die Welt wirklich so unüberschaubar geworden, und falls ja, war es mal wirklich anders?

Würde mir die Deutung meiner eigenen Gefühls-Gemengelage stets so leicht fallen wie die der derzeitigen gesellschaftlichen Zu-und Umstände, mir ginge es noch ein wenig besser als nun. So kompliziert isses nun wirklich nicht, vielleicht gilt das auch auf persönlicher Ebene. Die letzten Jahre jedenfalls lassen hoffen.

~

Sonntag, 200830

Gestern Nachmittag. Die Liebste erwartet eine größere Paket-Lieferung, es schellt zur erwarteten Zeit. Selbst bin ich gerade im Bad und kriege das folgende nur so halb mit. Lärm dringt vom Treppenabsatz nach oben und jemand schreit „Knoblauch„. Worauf die Liebste ruft: Ich heiße nicht Knoblauch… von unten tönt als Antwort eine gut geradebrechte Variante des armenisch-deutschen Doppelnamens der Liebsten – und – wieder laut: Knoblauch!

Was geht denn da ab, denke ich und unterbreche meine Morgentoilette, um mal zu schauen. Vor der Tür steht ein junger Kerl, so`n typischer Kurierfahrer. Sehnig und drahtig gebaut, wie meistens in Eile und unrasiert, Araber oder Osmane, das lässt sich in der Kürze der Zeit nicht so genau sagen. Er hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand im Nacken, während er mit der anderen versucht, irgendwie der beiden riesigen Kartons Herr zu werden. Und wieder – Knoblauch! Ohne jede weitere Erklärung. Die Natur-heilkundige Liebste schaltet ein wenig schneller als ich und holt eine auf die Schnelle gepellte Knoblauchzehe, die sich der Geschundene unter überschwänglichen Danksagungen sofort in den Nacken presst. Eine Wespe, der wohl sein Besuch hier nicht passte, steckte hinter dem Aufruhr. Seit gestern also wohnt hier zu unserer Belustigung eine Frau Knoblauch…

Sonst so? Ein gefundener Fisch und hübsches Gewölk sind die Ausbeute einer kleinen Abendrunde durch den Kiez.

Und – ein Abschied, er ist friedlich eingeschlafen. Karl-Otto Mühl, R.I.P.

Ich mag seine Augen, seine Schreibe und habe über seine Biographie gestaunt. Er hat recht spät angefangen, zu schreiben.

So. Zeit für meine Übungen, mit Zuschauer.

.

.

.

Ja gut…

Kult, ist immerhin Sonntag.

~

Samstag, 200829

Wenn mir jemand zur seinen oder zur allgemeinen Belustigung ein Ei auf die Wange malt, dann kann er an guten Tagen damit durchkommen und Gnade finden. Versucht er es jedoch ein zweites Mal, bitte ich ihn, die andere Seite zu bemalen, schön in Symmetrie, dann wird daraus eine Kriegsbemalung.

Ähnlich reagiert auch die Staatsmacht, muss sie reagieren, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Regel-konforme Auflagen und Zusagen von Seiten der Veranstalter gibt es. Ebenso wie die Absicht derer, die in jedem Fall dazu aufgerufen haben, nach Berlin zu kommen, auch bei abschlägigen Rechts-Entscheid, Bewaffnung inklusive. Aber das sind natürlich nur die so genannten linientreuen Medien, die so etwas verbreiten, und die lügen bekanntlich so gut wie immer. Wer es also genau wissen möchte, der muss sich schon zum Ort des Geschehens begeben und selbst schauen, was die Wahrheit sein könnte. Sofern er seinen Augen trauen kann, man weiß ja nie. Wir werden es heute erleben, was geschieht, in Berlin. Dazu wünsche ich mir, dass es friedlich bleibt – oder- das die Knüppel wenigstens die richtigen treffen. Was allerdings in der Hitze des Geschehens nicht häufig der Fall ist. Bleibt das Beste zu hoffen.

Sonst so? Mir geht es derzeit im Halbdunkel unserer Wohnung am besten. Katzen, die friedlich dösen oder kuscheln und die Welt da draußen ist, wenn überhaupt, nur zu hören. Leider geht Leben nicht immer so, gleich darf ich wieder meine Bahnen ziehen. Die übliche Samstags-Runde zwischen Kaufmannsläden und Eltern. Menschen gehen mir derzeit auf die Nerven, das ist nicht sehr gesund. Und da der Verstand so klug ist und das alles „weiß“, wird er sich mit dem „Rest“ verbünden und den da oben um Führung bitten.

I’ve worn out always being afraid

(Ich habe es satt, immer Angst zu haben)

Metallica/Frantic

Oder vielleicht doch demonstrieren?

I play Russian roulette everyday, a man’s sport
With a bullet called life, yeah, mama, called life(sugar)

System of a Down / Sugar

*

…und der Sommer geht dahin

Feine Zeilen, der Zeit gut nachgespürt.

Vor einigen Jahren machte es mich noch traurig, wenn der Sommer vorüber ging. Dann schaute ich morgens von meinem Balkon in Berlin, konnte die Kühle in der Luft und die Blätter am Boden riechen, fühlte dabei den Verlust des Sommers wie den schmerzlichen Abschied einer geliebten Person. Auch jetzt kann ich ihn riechen, den nahenden […]

…und der Sommer geht dahin

Montag, 200824

Manches lief gut, heute, anderes weniger. Ein ganz normaler Tag, ein Montag. Die letzte Nacht war unruhig, so wie die meisten Nächte von Sonntag auf Montag. Was hoffen lässt, dass diese Nacht ruhiger werden wird.

Zum Tages-Abschluss – Der rechte Augenblick, wie gerade eben eine Sache von wenigen Minuten.

~

Sonntag, 200823

Der 23ste – die 23 ist eine ganz besondere Zahl. Och nö, jetzt nicht wieder Nummerologie, sagt der naturwissenschaftlich geschulte, rationale Teil in mir. Aber ja, entgegnet es aus der mystischen Ecke, hast ja keine Ahnung von solchen Dingen. Während sich die beiden noch leise weiter zanken, denke ich an mein großes Kind, der an einem 23sten Geburtstag hat, ebenso wie seine Mutter. Den Film dazu passend haben wir damals im Programm-Kino zusammen geschaut, da war er 12 oder so. Als ich ihm dann noch ein entsprechendes T-Shirt besorgte, war der Glückseligkeit keine Grenze mehr gesetzt.

Astrologisch sind die an einem 23sten Geborenen in jedem Fall Grenzgänger zwischen den Zeichen, auch, wenn sie eindeutig zu einem Sonnenzeichen gehören, so ist doch der Einfluss des voran gegangenen Zeichens nicht unerheblich. Großes Gemaule von Ratio…du mit deiner Astrologie, fällt dir nichts besseres ein, dir die Menschen zu erklären? Elender Schubladendenker… Unterhaltsam ist das Ganze in jedem Fall.

Sonst so? Mittlerweile bin ich beim vierten Band der Reihe vom Friedhof der vergessenen Bücher angekommen. Auch eine Sucht. Und – die Werkschau von Wim Wenders ist endlich herunter zu laden, Stoff für viele lange Winterabende.

Ok, Sonntag Morgen ist auch noch…

~

Samstag, 200822

Er zog aber seine Straße fröhlich…

Mein Taufspruch, Anno 2007. Ein Satz aus der Episode mit dem Kämmerer, dem Philippus auf der Straße nach Süden Grundsätzliches erklärt, woraufhin es der Kämmerer für eine gute Idee hält, sich beim nächstbesten Wasser taufen zu lassen. Um anschließend seine Straße eben fröhlich zu gehen.

Der alte Pfarrer damals hier im Kiez hat es mir bei seinem Hausbesuch angesehen, was mir fehlte. Frohsinn und eine heitere Grundhaltung. Mein Leben war damals, na ich sage mal, ein wenig kompliziert. Frisch mit einer Frau zusammen gezogen, ein Akt, der von vorneherein zu scheitern verurteilt war. Das große Kind, das damals noch nicht ganz so groß war. Die Mutter des großen Kindes und und und. Fast alles hat sich in Wohlgefallen aufgelöst, mein Leben hat eine Richtung genommen, die ich nicht geahnt habe, in vielen Lebensbereichen. Die saturnische Schwere dagegen ist mir erhalten geblieben, in abgemilderter Form, was hoffen lässt. Dann ist das eben so, wenn sie bleiben möchte, soll sie das tun. Mit willentlicher Gewalt lässt sie sich jedenfalls nicht vertreiben. Möchte man das Ganze bei Lichte sehen, erkennt man auch Ernsthaftigkeit, Disziplin und Beharrlichkeit, hilfreiche Korrektive bei gewissen anarchischen Persönlichkeitsanteilen. Wie so oft ein Seil mit zwei Enden, immerhin.

Neugierig, wie ich bin, werfe ich den Satz, der zu mir gehören soll, in die Suchmaschine und stoße promt auf ein Buch, das diesen Titel trägt, wenn man darüber hinweg sieht, dass das „aber“ verdreht wurde. Die Erinnerungen eines Kinder-Chirurgen, der in drei Gesellschaftssystemen überlebt hat. Ein Auszug aus der Beschreibung beim bekannten Branchenriesen:

Sein Lebensprinzip Schwejk bedeutet, sich dabei von äußeren Umständen nicht entmutigen zu lassen, sondern sie mit Fantasie, Mut und ehrlicher Beharrlichkeit zu unterlaufen und ad absurdum zu führen, um mit Überzeugung handeln zu können.

Hat was, gefällt mir. Konnte ich eigentlich immer recht gut, auch in harten Zeiten. Ein wenig mehr Mut hätte ich mir schon öfter mal gewünscht, aber es ist ja (hoffentlich) noch nicht aller meiner Tage Abend. Und irgendwie passt das folgende Filmchen oder besser, der Begleit-Text auch zum Thema. Wer sucht, findet, Achtung Neugier. Der Autor nennt sich „Gerte Gottes“ Noch Fragen? 🙂

„Das grösste Schwergewicht. – Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nach schliche und dir sagte: „Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: „du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!“ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem „willst du dies noch einmal und noch unzählige Male?“ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung? –“

~