So`n Test

Am Sylvester-Abend stoße ich auf eine Website, in Sachen hochsensibel. Noch so`n Test, denke ich, aber die Muße als auch die Neugier lassen mich die Fragen laut vorlesen. Die meisten Fragen beantworte ich selbst, bei manchen ist die Liebste mit ihrem treffenden Urteil schneller als meine Selbsteinschätzung. Das Ergebnis war schon ein wenig überraschend, von 300 möglichen Punkten hatte ich 265, also bin ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine ausgemachte Mimose.

Toll, toll, denke ich, ich sammle Titel wie andere Briefmarken. Kann man das nicht beim schlichten „Hab`sie nich alle“ belassen? So auf die Kurzformel gebracht, schön allgemein verständlich. Weiter gehen die Gedanken: Wie kommt es dann, das so einer immer noch extraordinär fluchen kann und überhaupt selbst im fortgeschrittenem Alter über eine oft zu schnelle Rede verfügt (langsam wird es besser…)? Muss an  meinem Aszendenten liegen – Löwe – oder an meiner missratenen Plattenbau-Sozialisation. Keine Ahnung. Sehr wahrscheinlich ist es eher so, dass ich mir auf diese Weise so manchen Zeitgenossen erfolgreich vom Leibe halte, töten kann ich sie eh nicht alle 😉 Was sich auch hervorragend mit der Auswertung deckt, steht doch da unter anderen, ich möge bitte gegenüber weniger Sensiblen etwas toleranter sein.

Aha, na gut, dann will ich das mal üben…

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Ich sehe was, was Du …

Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, der kann in massive Schwierigkeiten geraten, ob der zahllosen Ungerechtigkeit, Bosheit, Gier, Ignoranz und Dummheit auf Erden. Wie nah lasse ich all dies an mich heran und habe ich überhaupt die Mittel, mich abzugrenzen, vor dem, was auf mich einstürmt?

Wer nicht nur blind konsumiert und sein eigenes Elend somit kompensiert, wer sieht, was ist, der kann an sich selbst verzweifeln, angesichts der eigenen Ohnmacht. Heute gibt es für solche Empfindungen passende Titel, hochsensibel zum Beispiel. Wer gar nicht mehr mit sich wohin weiß und dazu passend auffällig wird, der wird nach entsprechender Diagnose „behandelt“, also wieder chemisch funktional hergestellt und / oder ruhig gestellt.

Es ist nicht leicht. Wir leben ja in einem vergleichsweise freien Land. also kann ich mich theoretisch gleich am Samstag Mittag auf dem Marktplatz stellen und meinen Frust, meinen Kummer heraus schreien. Über die Menschenhändler in Libyen zum Beispiel, die im Gefolge der Auslagerung europäischer Drecksarbeit glänzende Geschäft machen. Oder die seuchengeplagten Kinder im Jemen, von denen die wenigsten das Erwachsenenalter erreichen werden, weil u.a. Rheinmetall mit den Saudis gute Geschäfte gemacht hat. Ich hab geschätzte 10 Minuten, mir solcherart Luft zu verschaffen, bis die nächstbeste Streife mich mitnimmt, in das Diagnosezentrum ihrer Wahl, siehe oben. In dieser Zeit ist mir Aufmerksamkeit gewiss, allerdings dem Geiste der Zeit entsprechend von meinen Mit-Menschen, die mich mit lauten Zurufen befeuern, um weiter feine Filmsequenzen mit ihren Smartphonen zu produzieren, nicht, um herauszufinden, worum es mir geht.

Was also ist die Lösung, wenn scheinbar nichts hilft? Auch ich weiß keine, die 100% zuverlässig funktioniert. Gott vertrauen hilft, nicht immer, aber bei mir zumindest immer öfter. Die Füße fest auf den Boden gestemmt, meine Tage leben, ohne mich mehr als unbedingt erforderlich an dem allgemeinen Irrsinn zu beteiligen. Erdverbunden, aber den Kopf zum Himmel gerichtet. Und – ganz wichtig – hier und da mit Hand anlegen, damit sich etwas ändert, so unbedeutend es auch scheinen mag.

PS:
Danke, Heide, für die Inspiration.
Schwester im Geiste.

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