Freitag, 240315

Rente mit 70 – ja sicher. Wie man so etwas von sich geben kann und zugleich darauf hofft, gewählt zu werden, weiß ich nicht. Wenn ich mich hier so umschaue – derzeit sind fast alle krank, alle schon weit über 50 bzw. 60. Last Man standing – aber auch ich hatte meine Ausfallzeiten, die altersbedingt nicht kürzer werden.

Passend dazu ein gestohlener, bildhafter Netzfund aus Kat`s wunderbarem Reisebericht :
Werkstatt 2030

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Sonst so? Der Stoiker in mir macht mich manchmal langsam. So geschehen gestern an der Tankstelle. Der Kerl hinterm Tresen, so`n Typ Lautkumpel mit ordentlich Tattoos, Stiernacken und sowieso per du, drückt mir so eine reklamierte Duftpappe in die Hand – hier, für´s Auto. Ich hätte den Scheiß gleich da lassen sollen, stattdessen stecke ich ihn widerspruchslos ein. Passiert. Im Auto hing das Teil genau 5 Minuten, die Wirkung war ähnlich der von hochparfümierten Frauen, nur ohne Abstand. Einfach außenbords wollte ich das Ding auch nicht drücken, gibt genug Umweltsäue. Tonne – nee, auch nicht, ist schließlich ein Geschenk (!).

Also hängt das Ding jetzt in der Umkleide und verströmt dort seinen chemischen Duft, der sich mit den eh schon vorhandenen Gerüchen lieblich bildgebend verbindet: Das olfaktorische Märchen vom überalterten Käse, der in eine Parfumerie geworfen wurde.

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Samstag, 240224

Meine beruflichen Umstände treiben mich zunehmend in fragwürdigen Sarkasmus. Details gehören hier nicht hin, nur so viel:

Das Alf-Zitat ist total mehrdeutig. Selbst werde ich tagtäglich mit Menschen konfrontiert, die etwas tun müssen, was sie nicht können und rundherum niemand da ist, der sie vernünftig anleitet. Auf der anderen Seite kann genau dies auch Motivation sein, sich nen eigenen Kopp zu machen. Unnötiges Lehrgeld inbegriffen, das sich heute eigentlich niemand mehr leisten kann. Das Rad ständig neu erfinden zu wollen, ist schlicht dumm und unnötig. Mit unserem Berufsaustieg verschwinden mit jeden Einzelnen Jahrzehnte Berufserfahrung. Nicht gut für unser Land.

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Die frühe Stunde – ich liebe diese Zeit. Jeder an seinem Platz. Und eigentlich isses auch keine Stunde, sondern allenfalls ein paar Minuten. Dem alten Mann wird die Heizung zu fad und er steht altersgerecht langsam auf. Was die Kleine als Aufforderung zum jagen versteht, und so schranzen die beiden von jetzt auf gleich übelst durch die Bude. Alles halt zu seiner Zeit.

Zum Schluss ein ohrwurmendes Liedchen über Vergänglichkeit.

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Mittwoch, 230830

Zahl des Tages:
45

Mein Vater fing mit 14 Jahren das arbeiten an, um mit 59 damit aufzuhören. Seine Rente war genau so hoch wie sein letzter Gesellenlohn. Dafür hat ihm (und sehr vielen anderen) das tausendjährige Reich Kindheit und Jugend gestohlen, aber immerhin – wenn auch mitunter knapp – das Leben gelassen. Was auch nicht für alle damaligen Kinder selbstverständlich war. Dank robuster Konstitution, relativ gesundem Lebenswandel und einem vergleichsweise guten Gesundheitssystem bezog er satte 28 Jahre lang Rente. RIP, Vatter, sei dir vergönnt gewesen.

Ich so? Wenn es dem Staat nach geht, habe ich fast 51 Jahre zu arbeiten. 45 davon sind jetzt gerade vorüber. Herzlichen Glückwunsch, lieber Reiner, zur gewonnenen Rentenanwartschaft! Würde ich jetzt arbeitslos, bekäme ich noch knapp 2 Jahre ALG1 und dann, mit 63, den vorgezogenen Ruhestand auf etwas mehr als Grundsicherungsniveau. Bezugsdauer? Keine Ahnung, mein Schöpfer würfelt nicht. Vielleicht ne Prognose? Viel gesoffen, geraucht, rappelige Nerven, scheiß auf die Glaskugel, lieber nicht. Und – bin ich jetzt so richtig BÖSE – nein. Was die gesellschaftliche Seite angeht, das haben sie uns schon vor Jahrzehnten gesteckt. Außerdem geht schlimmer immer, wäre ich kein Glückskind, das trotz Suchterkrankung, großer Fresse und langzeitlicher Selbstüberschätzung durchgehend in Lohn und Brot stand, dann sähe es wohl auch für mich duster aus. So gesehen bin ich dankbar. Punkt.

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Themenwechsel – Netzfund zum Thema Retter und so. Funktioniert hin und wieder mal, in aller Regel aber nicht, dann bleibt nur ein Haufen Asche.

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Samstag, 210417

Endlich Wochenende, die Arbeit ist getan. Was bewegt? Der Kampf der Titanen in der Union vielleicht. Eiermann gegen Möchtegern-Landesvater. Alpha-Tier gegen kleinen listigen Zwerg – solche Menschen werden eh gerne unterschätzt. Selbst mag ich weder den einen noch den anderen sonderlich. Das letzte Mal, als ein so genanntes Alpha-Tier gewählt wurde (ich will hier rein), hat es uns die ALG2-Gesetzgebung gebracht. Spätestens damals entwickelte ich eine gesunde Abneigung vor allzu charismatischen Eiermännern.

Sonst so? Die Arbeit war die Tage schon Thema, Dualität der Ereignisse ebenso. Das lässt sich durchaus noch ergänzen. Wenn zum Beispiel dem Kollegen, der seinen Renteneintritt in der Tasche hat, von zwei völlig verschiedenen Seiten inhaltlich völlig verschiedene Ansagen gemacht werden, kann das durchaus anregend und kreativ wirken. So sagt der Noch-Vorgesetzte: Beschäftigt euch! Und die Frau sagt, mit Blick auf die frei werdende Zeit: Schaff dir mal n Hund an.

Voila, das Ergebnis:

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Samstag, 200815

Die Nacht war sehr kurz, ob es an der Hitze hier in der Wohnung lag oder an meiner derzeitigen Lektüre – wohl eine Mischung aus beiden. Lesestoff: Derzeit alles von Carlos Ruiz Zafón, der uns leider viel zu früh voraus gegangen ist. Gerade habe ich den dritten Band der Serie „Friedhof der vergessenen Bücher“ in Arbeit. Eine fesselnde Mischung aus 60% Kriminalistik & Zeitgeschichte, 20% Liebe und 20% Horror/Magie, in veränderlichen Anteilen. „Marina“ habe ich (zwischendurch) nach dem „Schatten des Windes“ gelesen, das Buch steht für sich allein und hat einen höheren Anteil Magie/Horror – ebenso mega spannend.

Sonst so? Leben ordnet sich neu. Bin viel mit mir allein, pflege einige wenige Kontakte. Derzeitige Herausforderungen sind Urlaubsvertretung des Kollegen sowie die übliche Dauerbaustelle Eltern. Herausfordernd auch die regelmäßigen Visiten in einschlägigen Kaufmannsläden. Alle wieder da, viele übellaunig, gereizt und sowieso hat keiner Zeit. Dinge, die ich nicht ändern kann. Mit guter Laune voran gehen, ist auch nicht so einfach, in manchen Stimmungen hat ein versuchsweise freundliches Grinsen eine leicht dämonischen Einschlag. Da bleibe ich besser bei einer freundlichen oder wenigstens würdevollen Distanz, nach Möglichkeit, auch wenn mir diese als Arroganz ausgelegt werden sollte. Sei`s drum.

Apropos (ver-)kaufen. Alle wollen oder müssen es, ich auch. Mich selbst, in alter Frische. Handwerkliche Edel-Prostitution sozusagen. Neulich kam ein Brief von dem Rententräger. Der stand erst mal 5 Tage ungeöffnet auf der Küchenanrichte, weil, schon klar, was da drin steht. Wenn Sie noch weiterhin, bis März 2029, so fleißig sind, dann versprechen wir ihnen eine Zahl X. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich 51 Berufsjahre auf dem Buckel und wäre fast 67 Jahre alt. Diese Pisser… Ja, ich weiß, mir geht es vergleichsweise gut und öfter mal bedanke ich mich auch dafür. Sieht also alles nach einer längeren Fortsetzung der Käuflichkeit aus.

PS: Beim betrachten des Filmchens ging mir so einiges durch den Kopf.

  • Zum einen war ich, als „Kauf mich“ herauskam, 27 Jahre jünger als heute. In erster Ehe verheiratet, zu dieser Zeit (das änderte sich in den Folgejahren erheblich) weder glücklich noch unglücklich, aber stets besoffen (das wiederum blieb noch einige Jahre).
  • Die Kapelle hat auch bei ihrem Auftritt vor knapp zwei Jahren in Berlin nichts von ihrer Ausstrahlung eingebüßt. Die blühten in kleinen Klubs immer schon auf.
  • Das besungene Prinzip gilt unverändert bis heute. Nur die so genannte Wertschöpfung hat sich stark verändert. Produziert wird anderswo, hierzulande wird heute vorwiegend damit Geld verdient, anderen zum Geld verdienen zu verhelfen. Oder zum ausgeben.
  • So ein feierliches Gedränge mit Stagediving ist mit Corona wohl endgültig Geschichte.

Zwischen Zwetschgen und neuen Äpfeln

Dort, genau dort finden sich die weltlichen Themen dieser (meiner) Zeit. Auf`m Markt, am Obst- und Gemüsestand. Während ich die Auslagen sichte, empört sich das dralle Marktweib lautstark: „Uns lassen`se bis 67 malochen … “ Die Gute ist offensichtlich in meinem Alter, schön mit rosigen Bäckchen von der vielen frischen Luft täglich hier draußen. Was man nicht sieht, sind die Hüft-, Rücken- und/oder Leistenschäden, vom schleppen der vielen Kisten, die tagtäglich zu bewegen sind.

Der Kontext besagter Empörung ist mir als Hinzu-Gekommener nicht bekannt, aber nicht schwierig zu erraten.  Ziel der zornigen Anrede ist offensichtlich ein sympathisches und sehr altes Pärchen neben mir, er gebückt und mit Rollator, sie aufrecht, volles weißes Lockenhaar und offensichtlich rüstig, wie man sagt. „Unverschämtheit“, sagt sie, macht eine kleine Kunstpause, bevor sie fortfährt. „Ich hab`mit 48 dat arbeiten aufgehört …“ und schnell noch hinzugefügt: „Wegen Krankheit.“  Dann wird ihr Antlitz heiter, sie grinst bis an den Ohren. „Un`gez bin ich 92, mir geht et richtig gut …“

Sei Ihnen gegönnt, denke ich mir grinsend und kopfschüttelnd. Schon klar, der Alte krumm und lahm, sie das blühende Leben. Mir geht durch den Kopf, wie leicht es den heute sehr Alten früher gemacht wurde, am Ende ihres Berufslebens. Wenn man an göttliche Gerechtigkeit glaubt, könnte man sagen, als Ausgleich für eine gestohlene, entbehrungsreiche, zerstörte Kindheit und Jugend.

Und ich … blitzt es wieder in mir auf, während ich mein frisch erstandenes Zeug verstaue – wieder einmal darf ich mich mit dieser Frage auseinandersetzen, mit Blick auf kommenden Montag, an dem ich nach längerer, krankheitsbedingter Pause wieder „schaffen“ darf. Wieder hinein in diesen Mikro-Kosmos, den ich im Grunde seit langem schon nicht mehr sehen kann, hinein in ein betriebliches Umfeld, welches das seine zu meiner Erkrankung beigetragen hat.

Mir fällt dazu schon länger nichts Konstruktives mehr ein. Allerdings setzt sich mehr und mehr das Gefühl durch, geleitet und geführt zu werden. Von unserem Vater, seinem Sohn, dem ich zunehmend mehr vertrauen darf, sowie dem, was uns tagtäglich nicht sichtbar umschwirrt, der so genannte heilige Geist in Gestalt zahlloser Menschen, Gegebenheiten, Eingebungen, Intuitionen.