Samstag, 220702

Vater ist seit gestern Abend wieder zuhause, elend und schwach, Mutter überfordert, wie schon so oft. Aber sie machen weiter, beide, und genau das ist es. Anmeldungen für mehrere Einrichtungen sind schon lange raus, aber Vater will nicht. Redet von abschieben und dergleichen. Tagespflege, mal schnuppern, wie es ist? Abschiebung! Hilfe beim waschen durch den Pflegedienst – wurde gecancelt, geht alles noch selbst. Pflegedienst allgemein – wenig kooperativ mangels Personal. Diskussionen gab es schon reichlich. Auf meine Frage an Vater, wie er sich denn so fühlt, wenn er seine ebenfalls kranke Frau als Pflegekraft missbraucht, kommt lediglich eine Gegenfrage in Richtung der Genannten, ob das denn wirklich so wäre, Antwort wird gleich mitgeliefert, so wäre das doch nicht. So geschehen in der Vergangenheit und vermutlich auch in der Gegenwart. Der Schlüssel liegt bei meiner Mutter. Solange Vater morgens um halb sieben ihrer Meinung nach in ein Heim sollte und gegen 10 alles ja nur halb so wild ist, man käme ja noch zurecht, ja dann bitte, macht weiter.

Analogien fallen mir ein. In meinem Leben konnte ich immer nur etwas ändern, wenn ein gewisses Maß an Leid erreicht war. Das scheint ein mehr oder weniger universelles Prinzip zu sein. Im konkreten Fall allerdings verlangt es mir einiges ab. Zuschauen, wenn zwei wie meine Eltern immer weiter verharren, im zunehmend nicht mehr ganz so gemütlichen Elend, das ist für mich eine harte Nummer. Bei näherer Betrachtung habe ich allerdings auch keine große Wahl, sie beide sind immer noch voll geschäftsfähig, zumindest dem Gesetz nach. Also – und das sage ich auch Mutter – es reicht nicht, wenn Vater mal eine halbe Stunde auf dem Boden liegt, bis die Johanniter kommen. Nein, es sollten vielleicht mal derer zwei sein, am besten noch zugeschissen bis in die Strümpfe.

Das kannst du doch nicht machen, meldet sich sofort der Moralist in mir. Furchtbar, deine Eltern, und überhaupt. Doch, kann ich. Die zwei werden mich möglicherweise eines nicht mehr fernen Tages bitten, schnellstmöglich eine auswärtige Lösung zu finden. Solange eskaliert das dann eben. Vielleicht muss es ihnen auch mal von offizieller Stelle eindrücklich klar gemacht werden, ich hoffe inständig, dass es nicht zum äußersten kommt. Was genau ist das für mich? Jede Form von Verwahrlosung. Die lasse ich nicht zu, zur Not auch gegen ihren Willen. Gerade stelle ich fest, dass ich fähig sein werde, die Härte, die ich öfter schon in meinem Leben gegen mich selbst aufbringen musste, auch gegen andere aufzubringen, so es denn nötig sein sollte. Zum Schutz ihrer selbst, wie damals, zum Schutz meiner selbst.

Gleich schauen wir nach dem rechten …

Ach ja, und falls hier jemand meint, so etwas schreibt man doch nicht, Nestbeschmutzer und so – richtig, so etwas schreibt man nicht. Ich dagegen schon, weil ich sonst platze. Danke für euer potentielles Verständnis.

Schritte der Geduld

Geduld ist meine Stärke nicht. Das liegt sozusagen in der Familie, da hat sich mein Schöpfer etwas bei gedacht, mich diesbezüglich so mangelhaft auszustatten. Also bekomme ich Übungsaufgaben, die ich ihm liebend gerne zurückgeben würde, frei nach dem Motto: Was soll ich mit dem Scheiß… Das hat er aber nicht so vorgesehen, also muss ich da durch. Stichworte? Familiärer Fahrdienst Wochentags um 17.00 durch die Innenstadt. Anliegen bei Behörden, Krankenkassen, und einiges dergleichen mehr. Als wenn das an sich nicht reichen täte, soll ich die frohe Botschaft der Geduld gleich weitergeben, an meinem kranken Vater, der mich in Sachen Geduld noch locker toppt, rückwärts betrachtet.

Analogien helfen beim Verstehen. Im letzten Jahr ging ich eine Weile regelmäßig zu einer kontemplativen Meditationsgruppe, was mir gut getan hat, aber leider aus Zeitgründen eingeschlafen ist. Im Bewusstsein geblieben ist mir die Praxis dort schon. Sitzen, schweigen, unterbrochen von Geh-Meditation, im Kreis durch den Raum, mal etwas zügiger, auf ein Zeichen dann so langsam als möglich. Jetzt habe ich wieder Gratis-Stunden, nur in einem etwas anderen Umfeld. Statt alter, heimeliger Kirchengemäuer findet die Geh-Meditation in der nicht ganz so heimeligen Geriatrie eines Krankenhauses statt, es riecht nicht nach Weihrauch, sondern nach ganz anderen Sachen. An der Seite meines Vaters dort, der mit seinem Rollator in etwa die Geschwindigkeit des achtsamen Gehens trifft.

An guten Tagen verliert sich so das Gefühl, Vollgas mit angezogener Handbremse durch das Leben gehen zu müssen und wird ausgetauscht von der Ruhe, die ich damals in der alten Kirche empfunden habe. Alles macht seinen Sinn, solcher Art.

Und – stimmt, es ist Sonntag…

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Jetzt

Jetzt gerade ist Gänsehaut auf meinen Armen. Ob es daran liegt, dass im Umfeld unsere Endlichkeit deutlich zu spüren ist oder ob es an dem feinen Lied weiter unten liegt, vermag ich nicht so genau zu sagen.Es ist gut, wie es ist, auch wenn es nicht schön ist.

Für mich bin ich froh, nicht allein zu sein, auf dem Weg. Bin nicht allein mit meinem schwarzen Vogel, der gerade erstaunlich friedlich ist. DU bist bei mir, mal fühle ich dich, wenn ich allein bin, mal sehe ich dich in den Begegnungen mit anderen Menschen.

Danke dafür.

Zwischen Zwetschgen und neuen Äpfeln

Dort, genau dort finden sich die weltlichen Themen dieser (meiner) Zeit. Auf`m Markt, am Obst- und Gemüsestand. Während ich die Auslagen sichte, empört sich das dralle Marktweib lautstark: „Uns lassen`se bis 67 malochen … “ Die Gute ist offensichtlich in meinem Alter, schön mit rosigen Bäckchen von der vielen frischen Luft täglich hier draußen. Was man nicht sieht, sind die Hüft-, Rücken- und/oder Leistenschäden, vom schleppen der vielen Kisten, die tagtäglich zu bewegen sind.

Der Kontext besagter Empörung ist mir als Hinzu-Gekommener nicht bekannt, aber nicht schwierig zu erraten.  Ziel der zornigen Anrede ist offensichtlich ein sympathisches und sehr altes Pärchen neben mir, er gebückt und mit Rollator, sie aufrecht, volles weißes Lockenhaar und offensichtlich rüstig, wie man sagt. „Unverschämtheit“, sagt sie, macht eine kleine Kunstpause, bevor sie fortfährt. „Ich hab`mit 48 dat arbeiten aufgehört …“ und schnell noch hinzugefügt: „Wegen Krankheit.“  Dann wird ihr Antlitz heiter, sie grinst bis an den Ohren. „Un`gez bin ich 92, mir geht et richtig gut …“

Sei Ihnen gegönnt, denke ich mir grinsend und kopfschüttelnd. Schon klar, der Alte krumm und lahm, sie das blühende Leben. Mir geht durch den Kopf, wie leicht es den heute sehr Alten früher gemacht wurde, am Ende ihres Berufslebens. Wenn man an göttliche Gerechtigkeit glaubt, könnte man sagen, als Ausgleich für eine gestohlene, entbehrungsreiche, zerstörte Kindheit und Jugend.

Und ich … blitzt es wieder in mir auf, während ich mein frisch erstandenes Zeug verstaue – wieder einmal darf ich mich mit dieser Frage auseinandersetzen, mit Blick auf kommenden Montag, an dem ich nach längerer, krankheitsbedingter Pause wieder „schaffen“ darf. Wieder hinein in diesen Mikro-Kosmos, den ich im Grunde seit langem schon nicht mehr sehen kann, hinein in ein betriebliches Umfeld, welches das seine zu meiner Erkrankung beigetragen hat.

Mir fällt dazu schon länger nichts Konstruktives mehr ein. Allerdings setzt sich mehr und mehr das Gefühl durch, geleitet und geführt zu werden. Von unserem Vater, seinem Sohn, dem ich zunehmend mehr vertrauen darf, sowie dem, was uns tagtäglich nicht sichtbar umschwirrt, der so genannte heilige Geist in Gestalt zahlloser Menschen, Gegebenheiten, Eingebungen, Intuitionen.

 

 

2019

Nach einem Magen-Darm-verseuchten Neujahrstag blieb gestern zumindest ein großer Kakao und einiges Essen dort, wo es hingehört. So langsam finde ich wieder Kraft. Gestern reichte es immerhin für eine kurze Visite im Kultcafe…gleich geht es wieder westwärts.

Alles Gute euch für das neue Jahr 🖐

Humor Spezial

Mutter:

Is`doch schlimm, wie de Kinder für de Eltern zur Kasse gebeten werden …

Haushaltshilfe:

Ja wirklich, isso. Aber ha`m `se schon mal von der Südseeinsel da gehört, hab`den Namen vergessen. Da gibt es gar keine Alten. Wenn die merken, daddet nix mehr bringt, geh`n `se innt Wasser …

Mutter:

Schallendes Gelächter.

Sohn, Tag später, belustigt:

Nee, Du sollst gez nich`inne Wupper springen…

Ob es nun an der Gegend hier liegt, oder ob so ein spezieller Humor vererbbar ist – wahrscheinlich im vorliegenden Fall eine gelungene Mischung aus beidem – ich mag ihn, diesen Humor. Leben ist ernst genug …

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