Gelebte Gelassenheit
Kein leichtes Thema, das. Es ist eines, zuhause die Zeit fließen zu lassen, bei guten Übungen und in heimeliger Atmosphäre. Etwas anderes ist es, das mutmaßlich oder tatsächlich Verinnerlichte in den rauhen Gefilden des Alltags zu leben, solcherart, dass Mensch am Ende des Tages (Kackphrase, aber passt ausnahmsweise mal) vor sich selbst Bestand findet.
Dienstag nach Pfingsten, die Schränke sind gähnend leer, also heißt es einkaufen gehen. Natürlich dann, wenn alle gehen, nach Feierabend, am Nachmittag. Das Nötigste ist schnell zusammengesucht und ich stehe an der Kasse. Vor mir ein Paar, geschätzt Anfang 50 oder so, er wie ich Maskenträger, im Gegensatz zu den meisten anderen im Laden. Hinter deren Einkauf auf dem Laufband liegt ein „Warentrenner“, so heißen diese ominösen Holz- oder Kunststoffklötze wohl richtigerweise. Für mich ein Signal, mein Zeug dito aufs Band zu legen. Und so stelle ich mich ein wenig seitlich von der Drahtkarre und fange an. Ob ich nicht warten könne, fragt mich der Kerl vor mir. Wie alle anderen auch. Will das Arschloch mir ne Predigt halten oder was, meldet sich sofort das Ego. Ich nehme ihn fest in den Blick, Übungssache, ohne Augenaufschlag. Von der Predigt sage ich nichts, auch nichts davon, falls ich eine hören wolle, würde ich eine Kirche aufsuchen. Zu hören bekommt er, dass für mich ein Warentrenner das Signal sei, meinerseits anzufangen und lasse mich bei meiner Tätigkeit nicht weiter stören, nicht ohne besagten Herrn, dessen Einfalt auch die Maske nur notdürftig kaschiert, weiter im Blick zu behalten. Stellt der dreist seinen Einkaufskorb auf das Band, neben meinen Sachen, nicht auf (in dem Fall wäre das folgende wohl anders verlaufen), während das Gezeter weiter geht, in Richtung seiner Gattin. Man müsse doch höre ich und der macht das sonst immer wieder. (Achtung, potentielles Sendungsbewußtsein) Die so Bequatschte scheint klüger und wirkt bereits mäßigend. Bringt doch nichts, höre ich.
Kurz überlege ich, ihm anzubieten, aus seinem Korb (Stoffgeflecht) einen schicken passenden Hut für ihn zu basteln (sturmsicher, die Henkel passen zu seinen Ohren), derweil ich ihn weiter fest im Blick habe. Nächster Gedanke: Wenn du ihm das anbietest, musst du ggf. deine Worten umgehend Taten folgen lassen, der Glaubwürdigkeit halber. Was mit Sicherheit einen ziemlichen Aufstand und ein mögliches Ladenverbot nach sich ziehen würde. Keine gute Sache, ich kaufe zwar selten hier ein, aber doch regelmäßig. Die Entscheidung wird mir abgenommen, es braucht den Korb, um das Gelumpe am anderen Ende des Bandes zu verstauen.
Die zwei schieben ab, er immer noch zeternd und in meine Richtung gestikulierend. Ich hoffe, sie warten vor dem Laden, was sich leider nicht bewahrheitet. Oder vielleicht auch besser so. Zuhause angekommen, bin ich froh, mein Maul gehalten haben zu können. War wohl auch nicht nötig, spricht mein Gesicht doch auch mit Maske für sich, denke ich. Was in Ordnung geht, im Nachgang betrachtet. Fazit: Impulskontrolle ist möglich, auch für mich, eine beruhigende Erkenntnis und die Betätigung, auf dem richtigen Wege zu sein. Immerhin.