Wenn es passt, nehme ich sie frühmorgens mit zur Arbeit. Sie ist 47, hat 7 Kinder, von denen 6 noch daheim wohnen sowie mehrere Putzstellen und wundert sich über gelegentliche Schwindelattacken. Ich plaudere gerne mit ihr, trotz mannigfaltiger Herausforderungen hat sie etwas Strahlendes in ihrem Wesen., lacht oft und ehrlich.
Sie telefoniert mit ihrer kleinen Schwester in Afrika. Der Mann macht sich lustig, weil sie die kleine Schwester ständig Cherie nennt. Sagen doch Liebende zur Frau. Sie entgegnet, kleine Schwester bliebe immer kleine Schwester. Männer könnten andere Frauen haben und dummes Zeug machen, gleiches Blut bliebe immer gleiches Blut. Darum Cherie – auf ewig.
Nachvollziehbare Logik, denke ich. Auch ohne Geschwister. Mit Kosenämchen habe ich, haben wir dagegen es eh nicht so. Wenn ich manchmal höre, wenn auf freier Wildbahn Frauen ihre Männer Schatz nennen, muss ich grinsen. Wort wie ein Joker – passt immer und birgt keine Stolperfallen in Sachen unpassender Anrede. Dazu die Phonetik. Schatzzzz – so ein Geräusch macht in etwa ein gekonnt geworfenes Messer, das vibrierend in einem hölzernen Türrahmen stecken bleibt. Heinrich Böll fällt mir ein, Der Mann mit den Messern. So Assoziationen … Schatzzz ….
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Und – bildhafte Himmelfahrtsnachlese. Botanischer Garten Wuppertal.
Zum Schluss – heute 14.00 isses wieder soweit: Neumond. Ich gehe Blut spenden. Wenn schon Leere, dann richtig.
Samstag Abend, der Bauch ist noch voll vom auswärtigen Mittagstisch mit Mutter. Keine Ahnung, wo sie solche Mengen lässt, mit ihren fast 88 Jahren und als potentielles Leichtgewicht. Stoffwechsel de luxe halt. Mir ist jedenfalls pralle und so muss ich raus.
Auf meinem Weg durch die Stadt Richtung Hardt kommt mir eine Gruppe junger Mädchen entgegen. Sie ziehen schnatternd und lachend an mir vorbei und ziehen eine unglaubliche Parfumfahne von der preiswerten Sorte hinter sich her, die ich noch ein paar Häuser weiter rieche. Warum tut ihr euch das an, denke ich. Dezent geht anders und außerdem riecht mir Mensch am besten eher ohne alledem, nach einer gründlichen Wäsche, nicht älter als vielleicht 8 Stunden. So ganz subjektiv eingeschätzt als beinahe alter Mann, von daher mag das nicht viel heißen. Ihr Ding, sei `s drum.
Und so erklimme ich schwer atmend die städtische Grünanlage, auf halben Weg kommt mir ein junger Mann entgegen. Grüßt der mich freundlich – kommt nicht von hier, denke ich, derweil ich freundlich zurück grüße. Lederjacke, gepflegt, vielleicht Ende 20, gewählte Sprache, freundliches, offenes Wesen. Ich bleibe stehen, kommt genau recht, das Päuschen, und so plaudern wir ein wenig. In der Tat ist er nicht von hier, die Gelegenheit, mich als Ortskundiger zu präsentieren. Orientierung – da der Hügel, dort der Schornstein, dahinten das Hochhaus, die beiden roten Kirchturmspitzen, St. Laurentius, Luisenviertel mit Cafes und Kneipen. Nützenberg rechts, Königshöhe links, Gigi Fremdenführer lässt grüßen, der junge Mann freut sich, einige Ziele zu haben, er sei noch ein paar Tage hier. Eine nicht alltägliche, sehr angenehme Begegnung.
Zurück nehme ich den Bus, zumal es langsam Abend wird. Noch ein paar Bilder von einer kleine Runde über den Friedhof nebenan:
Kirschblüte auch im Quartierspärkchen umme Ecke.
Und – schon wieder finde ich ohne zu suchen einen alten, schon angewitterten Aufkleber, wieder an einem nicht mehr taufrischen Tor, so wie neulich, wenn auch ein paar Straßen weiter. Ein Blick auf die Website des Künstlers lohnt sich.
Ostern 2023 ist vorüber, mit viel Familie, was mich gefreut hat. Wieder ist so genannter Alltag, und doch ist etwas anders als zuvor. Die Arbeit läuft sich langsam warm, man urlaubt noch ein wenig. Zeit, um Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Auch mal gut. Kleiner Höhepunkt der Osterfeiertage: FB-Algorithmen im Verbund mit meiner angeborenen Neugier führen mich zu einem längst verloren geglaubten alten Freund. Das ist etwas besonderes, weil die meisten Menschen, mit denen ich einst zu tun hatte, entweder sehr gut mit sich selbst bzw ihrer Familie beschäftigt sind (in unserem Alter eher die Regel denn die Ausnahme) – oder tot. Auch das ist Teil der Wahrheit.
Auferstehung, Neuanfang – klingt gut, auch wenn ich bis heute davon überzeugt bin, dass sich kein Mensch über die Naturgesetze erheben kann, nie konnte. Wer die Welt der Geister betritt, ist auf der anderen Seite. Was irdisches Wirken und einstiges Wiederkommen nicht ausschließt. DU bist jedenfalls unter uns, und mir tust du gut.
Von daher – frohe Ostern uns allen.
Sonst so? Filmtipp – ich habe ihn sehr gerne gesehen, weil ich Tragikomödien liebe. Noch dazu in schwarz-weiß. Oh Boy – ein Tag und eine Nacht ohne Plan und ein früher Morgen mit Zeichen – ich glaube an Zeichen, ohne sie über zu bewerten. Trailer. Zu finden auf den bekannten Streaming-Plattformen.
Sonst so – Teil 2. Zeichen (!) und Fundstücke an Mauern und Türen, Wenn schon einkaufen, dann möglichst mit offenen Augen. Manchmal finde ich selbst hier noch für mich Neues.
Ich kann nicht sagen, wann wir zum letzten Mal im Kino waren, das ist Jahre her, und mit dem gemeinsamen Ausgehen war es in letzter Zeit auch nicht so dolle, also wird es Zeit. Ein Film ist ausgeguckt, dazu später mehr.
Vorher etwas essen wäre gut. Mein Favorit findet keine Gnade bei der Liebsten, waren wir neulich schon. Immer das Gleiche. Ich experimentiere nicht gerne, wenn Bewährtes zur Wahl steht, aber es gibt Kräfte im Leben, gegen die Mensch machtlos ist. Also wird sich umgeschaut, alles voll, hamse reserviert, nee, tut uns leid. In einem Ableger der so genannten jungen und lebhaften Gastronomie finden wir noch einen Katzentisch, immerhin. Die Bude ist bumsvoll, die Bedienung bemüht, das Essen vorsichtig formuliert überschaubar und überteuert. Nepp, denke ich, und mit Blick auf manche berufliche Erfahrung der letzten Jahre geht mir durch den Kopf, du arbeitest für Nepp und gibst dein Geld zumindest teilweise wieder für ebensolchen aus. Stimmt so objektiv betrachtet nicht, klar, fühlt sich aber jetzt gerade so an. Ein kräftiger Wind, mitten in der Fußgängerzone absichtsvoll gut und geräuschvoll geführt, schließt das Ganze ab und provoziert temporäre Geringschätzung.
Wir haben Zeit und so fällt der Liebsten der neulich zerschmissene Zahnputzbecher ein, eine Geschichte für sich, vielleicht dazu später mehr. Ersatz muss her und ein großer Drogeriemarkt hat noch geöffnet, also rein da.
Die Luft ist zum schneiden, keine Ahnung, wie die Kollegen hier gesund bleiben. Die Liebste sucht und findet passenden Ersatz für das Malheure, wir stehen an der Kasse. Da ist kein Code dran, brüllt die Dame an der Kasse in Richtung Kollegin, die daraufhin verschwindet, Richtung Lager, wie ich höre, Ersatz für den Ersatz holen.
Es dauert, mir ist langweilig und ich lege los: Das Lager ist in Langerfeld, Langerfeld ist 15 Kilometer weiter. Die Kollegin steht verschwitzt vor der verschlossenen Tür, flucht laut über den vergessenen Schlüssel und ruft den Hausmeister an. Der flucht über den versauten Samstag-Abend und kommt mit rotgesoffener Birne verspätet zu Fuß, weil sein Fahrrad nen Platten hat und der Führerschein eh lange Geschichte ist …
Drama kann ich, denke ich, während der Ersatz-Ersatz bezahlt wird.
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Das Kino ist in Oberbarmen, genauer auf Wupperfeld, also in etwa dort, wo Wuppertal anfängt, den letzten Rest vom eingebildeten guten Ruf zu verlieren. Eine Ecke, die ich kenne, meine Oma mütterlicherseits lebte und starb hier. Wir haben immer noch Zeit, im Foyer der Kinos gibt es nur so Bistro-Stehtische, gegenüber auf der anderen Seite der B7 ist ein Cafe, da will ich hin. Griechisch, wie mittlerweile der ganze Stadtteil. Obwohl in einer guten halben Stunde Schluss sein soll, ist es voll und megalaut, aber heimelig mit nettem Service. Wir nehmen zwischen zwei Cappuccino und staunen über die quietschbunten Torten in der Auslage. Definitiv ein Ort zum wiederkommen.
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Der Film
Wer bei diesem Film nicht lacht, hat keinen Humor. Wer bei diesem Film nicht weint, hat kein Herz.
Wir finden unsere Plätze und schnell wird es sehr voll, die Vorstellung in dem kleinen Programm-Kino ist ausverkauft. Ich hatte ganz vergessen, wie sehr zusammengedrängte Menschen riechen können und halte gegen die aufkommende Platzangst. Der Film ist absolut sehenswert und berührend (spoilern werde ich hier nicht). Was mir auffällt – ein Großteil der Mitbesucher lacht an Stellen, die ich absolut nicht komisch finde. Und umgekehrt. Keine Ahnung, warum und mit wem hier was nicht stimmen könnte, falls. Ort der Handlung ist eine Psychiatrie, Zeit zu Beginn am Anfang der 70er, also diese Aufbruchszeit in die Moderne, die sich experimentell ausbreitete, während das Alte immer noch präsent war.
Ein richtig guter Film, der uns beide auf unterschiedliche Weise berührt. Die Liebste, weil sie als junge Frau mal in ebensolcher arbeitete, mich, weil ich immer schon diese merkwürdige Anziehung solcher Orte auf mich verspürte. Mir selbst sind sie als Patient erspart geblieben, hätte durchaus anders kommen können. Im Gegensatz zu meinen Ahnen. Ein Onkel väterlicherseits war Dauergast in einer „Anstalt“ der 30er Jahre, meine Familie teilweise in der Folge Opfer von Stigmatisierung bis hin zu Zwangssterilisation, Verstümmelung und frühem Tod. Währen die Erinnerung an die Erzählungen wieder in mir hochkommt, wird mir übel, verstärkt durch die jüngsten Ereignisse letztes Jahr mit meinem verstorbenen Vater.
Jack Nicolson holt mich wieder aus dem Tief, während wir schweigsam heimwärts ziehen. Alles in allem ein gelungener Abend.
Familientage. Volles Haus und auswärtiges Essen. Kiez-Cafe und Kiez-Restaurant – da, wo Klartext gesprochen und der Teller noch voll gemacht wird, wo für eine Karaffe Leitungswasser nichts genommen wird. Heimat, Zuhause? Irgendwie schon, ich komme von hier. Könnte aber auch andernorts sein, mit meiner Ortsbindung ist es nicht so weit her. Allerdings erkennt man meine Herkunft spätestens dann, wenn ich den Mund aufmache. Unverkennbar Wuppertal eben.
So, mangels kluger Gedanke lasse ich Bilder sprechen.
Ein unspektakulärer, stiller, grauer Sonntag-Morgen, in mentaler Vorbereitung auf ein Brunch-Treffen mit Freunden, die wir schon lange nicht gesehen haben. Während des morgendlichen Fassadenputzes läuft das Radio, ich höre erstmalig in einem Interview von Jörg Phil Friederich, Philosoph, IT-Experte und Publizist. Er spricht von Postoptimismus und hat auch ein Buch dazu herausgebracht, das morgen erscheint. Mal schauen, ob ich es mir besorge, das Thema klingt für mich ansprechend. Im Kern geht es ihm darum, wie eine Welt, in der es die Kinder eben nicht „besser haben“, im Sinne von immer mehr Konsum, wie eben diese Welt auch mit ihren neuen Herausforderungen ein lebbarer Ort sein kann, abseits vom uns seit Jahrzehnten als Allheilmittel gepredigtem Konsum. Beschäftigt mich schon sehr lange, bedingt durch meine Lebensgeschichte.
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Passt nur am Rande zum Thema oben – ich gehe in die Stadt, möchte noch Zitronensäure zum reinigen meiner vermockten Thermoskannen besorgen und habe Zeit. Die Sonne geht gerade unter und so zieht es mich wieder auf das Kaufhof-Parkdeck, mal sehen, wie lange der Laden noch auf hat (Achtung, Post-Optimismus) und ich Gelegenheit habe, schaurig-schöne Bilder meiner Heimatstadt von oben zu machen. Ganz nebenbei freue ich mich, durch Geschäfte laufen zu können ohne jeglichen Impuls, irgend etwas einkaufen zu müssen, vom Gewünschten mal abgesehen. Diese Stadt ist etwas für den zweiten Blick, beim ersten freut man sich, sie wieder verlassen zu können. Wer jedoch ein Faible für dunkle Ecken und reichlich Geschichte hat, lernt den morbiden Charme Wuppertals schätzen.
Bilder eurer Hässlichkeit mit Abendsonne.
Friedhof HochstraßeParkdeck Kaufhof Elberfeld 1Parkdeck Kaufhof Elberfeld 2Parkdeck Kaufhof Elberfeld 3Ex-Rathaus ElberfeldNicht mehr Tag und noch nicht Abend.Späti bergischEs war einmal ein Zeeman Kann nur schöner werden.
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Und zum Schluss – es soll auch Katzen geben, die von beiderlei Geschlecht geliebt werden.
Interessante Erfahrung, sich mal wieder in einer Randgruppe wiederzufinden, die gerade öffentlich zerrissen wird. HA, mögen manche jetzt sagen, siehste mal, wie das ist. Na ja, mag ich dann antworten, der Krieg ist kein Virus, so wie neulich. Letzteren kann man mit Wissenschaft beikommen, beim Krieg ist das anders. Da hilft keine Vernunft, wie man sieht. Im übrigen ist mir dieses Randgruppendasein schon vertraut, das hatte ich zeitlebens inne, gewisserweise. Darüber hinaus ist es mir scheißegal, ob meine Haltung die der Mehrheit oder der Minderheit entspricht und wer in Teilen noch so denkt wie ich. Das wiederum ist neu und fühlt sich nebenbei auch noch gut an.
Solche Momente, die perfekt scheinen, weil gerade einmal nichts im Kopf kreist. Oder besser gesagt, doch, irgend etwas ist immer, aber es stört nicht. Das Cafe ist verträumt, wenige Gäste, im Hintergrund läuft Radio Wuppertal, zum Glück leise. In 90 Minuten ist auch hier Wochenende, ich liebe diese Zeit. Lesen, schreiben, Waffel mit alles und Kaffee, aus dem Fenster schauen, Gedanken vermischen sich mit dem Geruch von heißen Kirschen und verflüchtigen sich. Für einen Moment ist die Welt immer noch so, wie sie nun mal ist, aber ich kann sie gut sein lassen.
Es ist halb Sieben durch und ich laufe unschlüssig durch die Stadt. Der Himmel möchte eingefangen werden, bildhaft, also nehme ich die Treppen hoch zum Parkdeck des hiesigen Kaufhof. Von dort hat man einerseits einen grandiosen Ausblick über die geballte Hässlichkeit der Elberfelder Nachkriegsinnenstadt von oben, aber der Romantiker in mir interessiert sich jetzt gerade nur für den Blick nach Westen, mit Mondsichel. Das Licht dieser Stunde ist einfach zu schön.
St Laurentius hat geöffnet, ich nutze die Gunst der Stunde und verweile. Mir sind die katholischen Riten und Gebräuche fremd, aber die Stimmung ist einladend, vorne singt jemand leise zur Gitarre, diskret hinter einem Pfeiler verborgen. Wer will, kann das Gespräch suchen oder sich segnen lassen. Ich sitze still, bis mich die aufsteigende Kälte langsam heimwärts zieht.