Sonntag, 201101

Der stille Monat beginnt heute und diesmal in mehrfacher Hinsicht. Das Gedenken der Toten am heutigen Tag ist eines, etwas anderes ist es, zu spüren, wohin Mensch sich gerade entwickelt, angesichts der Lage im Land, auf der ganzen Welt, wie es scheint.

Gestern Abend. Wir essen und schauen fern. Im WDR läuft irgendetwas mit Musik von 60 Jahren. Wieder mal, denke ich, irgendwie entwickelt sich West3 gerade zum Alte-Leute-Sender. Bedenklich finde ich, dass mich, uns, so vieles vom gesehenen und gehörten schon berührt – die scheinen es also auf uns abgesehen zu haben. Wohl voraussetzend, dass unsereins die stete Verhaftung mit der Vergangenheit innig liebt und die Erinnerung mangels prickelnder Gegenwart braucht wie das täglich Brot. Sei`s drum, der Sender läuft und die Kost ist leicht verdaulich. Auch mal gut.

Zu sehen sind viele Künstler ihrer Zeit, Werdegänge, Interviews, Vitas und natürlich viel Musik, auch Konzertmitschnitte. Unter inneren Protest macht sich aufgewärmtes, längst vergangenes Lebensgefühl, teils von Gänsehaut begleitet, breit. Und – da ich nun mal strebe, in der Gegenwart zu sein, denke ich, es fehlen heute wichtige Kanäle, den Frust loszuwerden. Dem (geselligen) Hedonismus wird gerade aus guten Gründen der Kampf angesagt und im Topf steigt der Druck, wie mir scheint. Nicht alle realisieren die Gebote der Stunde. Hätte ich in jüngeren Jahren vermutlich auch nicht gekonnt und einfach weiter gemacht. Wir waren mindestens so kreativ im umgehen von Regeln wie die Kid`s heute.

Sonst so? Es ist ruhig hier, Dank einer abgesagten Reise sind wir daheim und das ist gut so. Finden im übrigen auch unsere Mitbewohner…

Liegen bleiben bis zum Frühjahr wäre schön…

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Fundstück

Der einzige ehrliche Mensch auf der Welt. Ist das lange her … Stichwort Selbstüberschätzung und so. Ein Lied für alle von-sich selbst-sehr-Überzeugten …

„Ich veredele die Wirklichkeit
Aber mach das mal einem andern klar“

Bei den Zeilen muss ich grinsen – wenn ich an so manche Selbsteinschätzung in jungen Jahren denke. Früher, früher konnte Kunze auch noch Musik …  ja, das ist ein Vierteljahrhundert alt und immer noch aktuell.

Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich habe Angst I’m Dunkeln und tanze nie
Ich veredele die Wirklichkeit
Aber mach das mal einem andern klar
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich habe meine Zweifel an der Demokratie
Dämlichkeit als Preis der Freiheit
Den Griechen nach! Den Griechen nach!
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich übernehme die Sowjetunion
Ich reise unter falschen Namen:
Alfred Tutein und Odradek
Rhythmische Opfer
Rhythmische Opfer
Rhythmische Opfer
Rhythmische Opfer
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Ich bete I’m Flugzeug ich schreie auf Klippen
Ich kann mir kein Träume merken
I’m Wartezimmer will ich mit dem Kopf durch die Wand
(Mit dem Kopf durch die Wand
Mit dem Kopf durch die Wand
Mit dem Kopf durch die Wand
Mit dem Kopf durch die Wand)
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
Mein ist der Glaube an die Inspiration
Mein ist das Verhängnis der Größe
Mein ist der langsame Pfeil der Schönheit
Die Kunst macht dem Denker das Herz schwer

*

Früher

In regelmäßigen Abständen stoße ich im Netz auf Postings meinesgleichen Geburtsjahrgangs, wo sich in epischer Breite darüber ausgelassen wird, das früher alles besser war. Wo sich bitterlich über die Kinder beklagt wird, die doch nur ihren Vorbildern folgen. So wie wir im übrigen damals auch. Was genau geht da in den Köpfen nur vor, frage ich mich immer öfter.

Früher war alles besser?

1. War es nicht, war anders.
2. Zeiten ändern sich.
3. Seid euren Kindern entsprechende Vorbilder.
4. Gerade, was Konsum angeht.
5. Erwartet nicht, das sie euch gleich folgen.

„Früher, hör auf mit früher,
ich will es nicht mehr hör’n.
Damals war es auch nicht anders,
mich kann das alles nicht stör’n.“

Auch, wenn ich dieses Lied mittlerweile mit gehörigen Abstand „zu früher“ höre, es hat immer noch etwas 🙂