Sonntag, 220807

Sepia

Draußen blendet gleißendes, helles und sehr klares Sonnenlicht, während ich den Tag beginne. Undiszipliniert, für meine Verhältnisse. Die eigene Fassade teilsaniert, die morgendlichen Übungen fürs schreiben unterbrochen, bevor sich die Worte wieder dadurch tun. Die Liebste ist in Sachen Familie und Kunst unterwegs, das ist schade, weil ich nicht mit kann und gut, weil ich so auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Auch mal nett, allein einfach das zu tun, wonach gerade der Sinn steht. Nicht im Sinne von sich selbst finden (Hallo, hier bin ich), sondern schlicht der sein, den es im Augenblick gibt. Kommt in letzter Zeit nicht so oft vor, scheint es – aber auch das ist nicht stimmig, bin ich doch auch in meinen familiären und beruflichen Eigenschaften der, der ich bin, auch wenn jeweils andere Facetten sichtbar sind.

Gestern saßen wir zusammen und lasen vom Pfarrer Heinz Kappes, seine Ausführungen innerhalb der Gemeinschaft der anonymen Alkoholiker, die weit über das Thema Suchterkrankungen hinausgehen, hin zu universaler Liebe, die keine Religion braucht. Eine gemischte Alt-Herren-Damen-Runde in sehr überschaubarer Zahl. Ich mag dieses gemeinsame lesen und anschließendes Gedanken-teilen sehr, wohl wissend, die Zeit wird unsere kleine Runde gnadenlos biologisch zerlegen. Dann ist das so, selbst gehe ich nach solch einem Treffen immer gefüllt mit guten Gefühlen meiner Wege. Gefüllt mit einem Gefühl von Orientierung.

Orientierung ist etwas, woran es mir „von Haus aus“ mangelt. Das spiegelt sich vielleicht auch in diesen Zeilen wieder. Wo stehe ich, mit meinen fünf mal 12 Lebensjahren? Oft genug ein emotionaler und geistiger Eremit, Teilzeit-Familienmensch, der sich schwer mit der Vorstellung tut, die anderen könnten ihn tatsächlich so lieben und wertschätzen, wie er ist, jetzt und hier. Und ja, Achtung, Gegenverkehr – kriege ich das bei den anderen immer so hin? Dualitäten allerorten, wie immer.

Und nein, ich suche nicht den Sinn des Lebens. Ich lebe, das ist Sinn genug, analog zum mich-finden-wollen, was genau so müßig ist. Ich stelle mich, wenn ich es versuche, auf den Punkt zu bringen, den Herausforderungen meiner Zeit, bin da, wo ich gebraucht werde, zeitweise aus einem irgendwie gearteten Pflichtgefühl heraus, selten nur noch aus Berechnung, das eigene, arg zerzauste Karma aufzuwerten und manchmal auch aus Liebe, das fühlt sich so an, weil es warm und dicht ist.

Kappes spricht von einer „Sucht, gebraucht zu werden“. Wieder so eine Stolperfalle des eigenen Egos. Wenn dagegen die eigene Intuition (die beiden sind Geschwister, Ego und Intuition) das gefühlte oder gelebte mit ausreichend vergangener Zeit und einem positivem Körpergefühl abnickt, dann geht das in Ordnung, kann so weiter gehen, dann dient es nicht nur dem eigenen Selbstzweck, sondern dem Bedürfnis nach Entwicklung, Heilung, weiterkommen. Kann sogar Freude machen, was für manche gesegnete Frohnaturen seltsam klingen mag, für ein Nachtschattengewächs mit zunehmender Liebe zum Licht, wie ich eines bin, dagegen noch ein recht junges Pflänzchen ist.

So, und nun habe ich genug vermeintlich oder tatsächlich Gehaltvolles von mir gegeben und darf auch mal ganz unverdächtig ein leicht frivoles Bild von mir zeigen, nicht Sepia, wie eingangs geschrieben, sondern Drei-Farben-farbreduziert. Mit Fünf mal Zwölf geht das in Ordnung, ohne die Absicht, noch irgendwelche Preise gewinnen zu wollen 😉

Freitag, 220204

Öfter mal hadere ich mit meiner scheinbar vertanen Lebenszeit, meiner arg verzögerten Entwicklung als Mensch. Oder mit dem Gefühl des andauernden verloren-seins, auch wenn die Wirklichkeit dem nicht entspricht. Die Stille hilft mir, mich wieder neu zu erden, die Füße fest am Boden zu spüren und immer wieder neu zu vertrauen.

Worauf es ankommt (Roman Pestak)
Das Einzige, das wirklich zählt, liegt jenseits unserer Vorstellungskraft, und deshalb werden unsere dunkelsten Stunden auch nicht endgültig sein.
Denn Stille ist das Gegenteil von Nichts.
Sie ist die wärmende Umarmung, die immer da ist, wenn uns alles andere verlassen hat.
In ihr wird unser Funke wieder Feuer fangen und sein Licht wird unsere Augen finden.
Wir haben nichts verloren! Es brauchte einfach seine Zeit.“

Sonntag, 210620

Morgen ist Sommersonnenwende, eine von für mich vier wichtigen Jahres-Zeitmarken, neben der Wintersonnenwende und den so genannten Tag-Nacht-Gleichen, Pari zwischen Licht und Dunkelheit, die sich dann den Tag hälftig teilen und Beginn von Frühling wie Herbst markieren. Derzeit ist jedenfalls das Licht dominierend, fordert zu Aktivität aller Art auf und vertreibt zumindest teilweise auch innere Schatten. Gut so.

Sonst so? Gisela schreibt über tiefe Brunnen, mir gefallen Gleichnisse mit Wasser sehr. So wie Wasser an sich faszinierend auf mich wirkt, auf physikalischer Ebene als der Lebensspender überhaupt sowie in seinem Fließverhalten in der Natur, gelenkt von den geologischen Beschaffenheiten der Landschaften, ober- und unterirdisch. Aber auch auf der Meta-Ebene unserer Seelenleben mag ich das Bild des Wassers, das so oft Zusammenhänge sichtbar machen kann, wo andere Sprachen entweder zu abstrakt, zu verkopft wirken, wie die Psychologie zumindest teilweise, oder wie die Astrologie zu sehr esoterisch verbrämt daherkommt (zu Unrecht, finde ich, ist sie doch das Resultat sehr langer Zeit der Beobachtung).

Wasser auf der Meta-Ebene also. Der Fluss als Sinnbild des Lebensstromes gefällt mir, in seinem Lauf von Quelle bis zu seiner Mündung in einen See, in einem Meer. Mit seiner allmählich wachsenden Größe, seiner sich mit der Landschaft verändernden Fließgeschwindigkeit, seine ruhigen Zonen, seinen Stromschnellen und Untiefen. Auch das Bild des Wassers, bezogen auf seine Reinheit, seine Klarheit oder eben auch als trübes Gewässer, gefällt mir. So wie sich manches „klärt“, wenn es nur lange genug in Ruhe gestanden hat, mal eine Weile nicht bewegt wird.

Es fiele mir noch mehr dazu ein, würde hier nicht mit Recht nach Frühstück gequengelt. Prioritäten setzen also, wie so oft. Musik vielleicht geht noch …

Satz des Tages:

Hier ist ja alles schief!

Levon, 5, aus Berlin, schwitzend den Wuppertaler Nordhang erklimmend.

*

Sonntag, 210613

Gestern Abend, gegen Sechs. Es gibt noch etwas zu erledigen, Post wegbringen, Sachen abholen, profane Gründe, das Haus zu verlassen. Ich staune über die vielen Menschen, die offenen Läden, die vollbesetzten Biergärten, das pralle Leben. Glückseligkeit allerorten und ich bin es nicht mehr gewohnt. Menschenansammlungen machen mir Unwohlsein oder verstärken Vorhandenes, je nach Blickrichtung. Sind sie echt, die Gesichter mit dem halben Liter Weizen im Gesicht oder der dicken Eiswaffel? Mich reizt es nicht, auch mit Blick auf die Zettelwirtschaft, digitale Wüste. Zu laut, zu voll, zu aufgesetzt, zu ungewohnt wirkt die Stimmung auf mich. Die Mitternachtsseele vermisst den kühlenden Schatten und flüchtet sich in St. Laurentius

Es ist Messe, in jeder zweiten Bank sitzen einige wenige Menschen. Maskiert möchte ich Platz nehmen, jemand sagt HALLO, eine nette junge Frau nötigt mich freundlich, aber bestimmt zur Adressabgabe. Ich schüttle den Kopf und wende mich um zum gehen. Als ich fast schon wieder draußen bin, höre ich sie, mir folgend. Hallo, Sie können dort sitzen, wenn Sie möchten… und zeigt auf eine Bank ganz hinten. Die Katzenbank für Menschen wie mich. Und so nehme ich einen Moment Platz, kann zwar nichts von der Show weiter vorne sehen, aber hören, das reicht mir. Liturgien sagen mir nichts, und das aufgeblähte Drumherum der Katholen erinnert mich irgendwie an die Sonne, das Weizenbier, die Gesichter. Nach einigen Minuten gehe ich.

Es ist nicht nur Messe, auch eine überregionale Veranstaltung, wie mir ein Infotisch im Eingangsbereich sagt. Beim gehen schaue ich die beiden Kärtchen, die ich eingesteckt habe, weil sie mich ansprechen.

Mit Blick auf den Trubel denke ich an Geistliche, die sich wundern, wo die Menschen bleiben. Vielleicht – wenn mehr Klartext über unser aller Befindlichkeiten gesprochen würde, hätte eine Messe bessere Chancen gegen Weizenbier, Eis, Currywurst, Hedon in allen Farben. Keine Ahnung, vielleicht liegt es an der Mitternachtsseele, die sich aus gegebenen Anlass gerade verstärkt mit Verfall, Tod, mehr oder eher weniger erfüllte Leben und dergleichen auseinandersetzt, aber auch ihr gefällt die etwas befremdliche Sonne.

Apropos Mitternachtsseele…

Ich mag die Sonne, die Palmen und das Meer
Ich mag den Himmel, schau‘ den Wolken hinterher
Ich mag den kalten Mond, wenn er voll und rund
Und ich mag dich mit einem Knebel in dem Mund
Ich mag volle Gläser, die Straßen wenn sie leer
Ich mag die Tiere, Menschen nicht so sehr

So, und weil der Schatten nie das letzte Wort haben soll, noch ein paar Licht-Bilder zum Schluss, abseits vom Trubel auf dem Laurentius…

*

Sonntag, 210321

Wieder so ein Datum, das sich gut liest. Ab gestern wird das Licht die Dunkelheit überholen, zeitlich. Ach, wäre das auch sonst immer so. Aber ich darf ja üben, Tag für Tag. Kleines Beispiel?

Parkplatz-Impressionen

Gestern früh, auf dem Parkplatz vor der Einkaufsmeile nebenan. Die Eltern wollen Bier(!), ich bringe ihnen dann stets so eine Halbschachtel Krombacher mit, die kann ich mit meinen kaputten Armen besser tragen und sie besser lagern. Sie trinken nur sehr wenig, so`n Teil hält locker drei Wochen. Es gibt einen separaten Getränkemarkt mit so einem überdachten Stand für Einkaufswagen. Darunter stehen zwei Reihen Wagen, die vom Getränkemarkt und die vom benachbarten Supermarkt. Meine Laune ist mies, nüchterner Magen, die vielen Menschen, Maske vor der Fresse und eine beschlagene Brille. Nachdem das Gesöff im Kofferraum verstaut ist, bringe ich den Wagen zurück und schiebe ihn prompt in die falsche Reihe. Geht nicht ganz rein, das Scheißding, zornig fluchend (mein Euro…) und natürlich ohne nachzudenken nehme ich nochmal Schwung, es scheppert enorm und dann geht nichts mehr vor und zurück. Bin nur froh, dass die Liebste nicht mit dabei ist, die wäre an`s andere Ende des Parkplatzes geflüchtet. Ich beschaue mir den Haufen Draht, gelobe meinem Schöpfer Besserung (bis zum nächsten Mal) und beschließe, den Euro für die arme Sau zu spenden, die das wieder entwirren darf.

Und ja, ich bin ganz in meiner Mitte, jetzt gerade, es geht mir gut. Und nein, ich bin nicht gut eingestellt, medikamentös. Eigentlich gar nicht, wie man sieht. Bin Mensch mit gelegentliche Anfällen von extrem schlechter Laune, das ist nicht schön, darf aber sein. Das mit der Besserung war übrigens ernst gemeint, auch, wenn man diese Prüfung mit gutem Gewissen als nicht bestanden bezeichnen darf.

Sonntag, 210103

Ein paar Stunden Licht, Luft und gute Gespräche. Die Wupper-Berge, eine Gegend, in der ich zumindest teilweise aufgewachsen bin. Erinnerungen werden wach, an Tage vor langer Zeit. Wir waren 12,13, oder 14, sind mit dem frühen Licht hinaus, Brotbeutel und Hund dabei. Mit dem ersten Dämmerlicht ging es zurück, den Kopf voll mit Magie und Geschichten, beides wartet dort hinter jeden Fels im Wald, in jedem Wasser, das sich seinen Weg den Hang hinunter sucht, ebenso in den Fluten der Wupper, die hier noch ihre beinahe ursprüngliche Form hat, an ihrem Oberlauf. Die Jahreszeit gibt nicht viel Farbe her, aber ich mag auch die Farben des Januar.

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Sonntag, 200906

Wie nahe Licht und Schatten beieinander liegen können, war gestern Abend fein zu sehen. Wie so oft halt. Die Augen wollen auch noch nicht so, wie ich, heute Morgen.

 

Besondere Erkenntnisse abseits von Routine:

  • Mit zunehmenden Alter wird es schwieriger, sich zu verabreden, von Spontanität, die ja sowieso gut überlegt sein möchte, mal ganz zu schweigen. Zuviel kann dazwischen kommen, in Sachen Familie und Corona. Absagen meinerseits derentwegen kenne ich auch nur zu gut.
  • Gelenke und Sehnen unterliegen altersbedingten Verschleiß und Sanitätshäuser werden von Wucherern geführt. Früher hat man sie aufgehangen und nun wollen sie des bösen Karmas willen der Menschheit Gutes tun, mit altem Geschäftsgebaren. Gelernt ist gelernt.
  • Der schwarze Vogel schlägt sachte mit den Flügeln und erinnert mich an seine latente Anwesenheit. Zeit für Licht, Luft und Sonne, Meditation, Gebet und vielleicht das eine oder andere liebe Wort.
  • Musik kann ebenso helfen, die Befindlichkeit zu manipulieren.

Und zum Schluss: Überkommene Rituale kann man auch unterlassen. Oder vermisst die hier jemand?

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