Freitag, 240621

Dieser Eintrag ist Teil von Christianes Schreibeinladung. Maximal dreihundert Worte und die drei vorgegebenen müssen mit drin sein: Putzlappen – elegant – schlafen

1982

„KPG“, das stand auf all seinem Werkzeug, die Initialen seines Namens. Klaus-Peter Gräber oder so ähnlich. Ein boshafter Kollege, der um KPG `s Hang zu lautstarken und dramaturgischen Ausbrüchen wusste und diese gelegentlich gegen seinen eigenen niedrigen Blutdruck einsetze, nannte ihn dann frech „Kleiner Pisser Gräber“. Ging sofort los, man schenkte sich nichts.

Wenn er arbeitete, dann richtig, man konnte sich auf ihn verlassen, seine Spezialität waren filigrane Schleifarbeiten. Mal blieb er auch über Nacht, selbst fand ich ihn eines Morgens auf einer Lage Putzlappen schlafend vor. Die Geschäftsführung sah ihm darum auch sein mittelschweres Alkoholproblem nach. Mich schickte man nichtsahnend als Jungfacharbeiter auf morgendliche Einkaufstour zum Kiosk – der Job sah vor, jeden der 5 Kollegen nach seinen Wünschen zu fragen und nach Möglichkeit den Kopp zusammenhalten, um das Gewünschte vollständig am Büdchen zu rezitieren. Packung HB und nen Jägermeister, sagte ich. Groß oder klein?Keine Ahnung, is fürn Kollegen.So einer mit grauen Kittel und Locken? Der nimmt immer die Großen … Man sah ihm selbst unentschuldigte, mehrtägige Sauftouren in der „Landeshauptstadt“ nach.

Nach Auflösung des Zweigwerkes und Beendigung der Gemütlichkeit fanden wir uns im Hauptwerk wieder, gemeinsam mit den Kollegen eines anderen Werkes. KPG lief 2 Wochen lang mit der schriftlichen Kündigung in der Kitteltasche umher, bis der große Tag dann kam. Das so genannte Meisterbüro stand auf Stelzen und war komplett verglast, um uns besser im Blick zu haben. Andersherum aber auch, und so durften wir seine vorangekündigte Kündigung live mitverfolgen – wie er mit einer ebenso eleganten wie unnachahmlichen Armbewegung das Schreiben aus der Kitteltasche zog und angewidert mit Schwung auf den Schreibtisch des Meisters schmiss. Ganz großes Kino.

Was aus ihm wurde, weiß ich nicht, ich sah ihn nie wieder. Von Alkoholismus als Krankheit wusste ich damals nichts, das sollte noch viele Jahre dauern.

17 Gedanken zu “Freitag, 240621

  1. Ganz großes Kino ist auch das Panorama, das du hier vor uns ausrollst. Ich glaube dir sofort jedes Wort.
    Ich frage mich unwillkürlich, wie heute mit Alkohol am Arbeitsplatz umgegangen wird.
    Du hattest nichts gesagt: Wirst du bei den Adventüden mitschreiben? Ich würde dir gerne ein Türchen reservieren. Weihnachtskitsch ist nicht verboten, aber keinesfalls verlangt.
    Morgenkaffeegrüße zurück 🌥️🌳🎶☕🍪

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    1. Heute geht das gar nicht mehr, kleine Betriebe werfen sofort raus und größere nötigen mit Glück zur Hilfe, professionell.

      Adventüden … ok, das ist mir durchgegangen. Ist ja noch ein Weilchen hin, aber gerne.
      Liebe Grüße & Danke, Reiner 👋

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      1. Ist nicht mehr so lange hin, weil der Witz an der Sache ist, dass die im Sommer geschrieben werden, also demnächst. Näheres kommt mit der nächsten Schreibeinladung, dem Etüdensommerpausenintermezzo Anfang Juli, also bald …
        Danke, ich trage dich gern ein. 👍

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  2. Sehr gut geschrieben! Und mir fallen jetzt aus dem Stand doch einige ehemalige Kollegitäten ein, auf die dein Kurzportrait zutreffen würde. Nicht zuletzt ein Oberkellner mit dem schönen Spitznamen Piccolöle, der alle Daumenlang einen Lehrling zur Metzgerei nebenan schickte, um kleine Fläschchen Sekt einzukaufen. 😉

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  3. Leider gibt es noch genug versteckte Alkoholiker, egal ob in kleinen oder großen Betrieben. Irgendwann ist es ein offenes Geheimnis welches aber von keiner Seite angesprochen wird solange die Person zur Arbeit fähig ist.

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    1. Geht so, jeder Betrieb hat was zu verlieren. die meisten schauen schon genau hin. Klar wird die Sache auf so offiziellen Besäufnissen aka Betriebsfeiern, wer da wie reinhaut. Die Spiegeltrinker meiden solche Veranstaltungen allerdings gerne. Unterm Spiegel ist schlecht, aber drüber ebenso, @ sozial auffällig.

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  4. In meiner Jahrzehnte zurückliegenden, sehr branchen- und tätigkeitsbunten Zeitarbeitsphase habe ich einige männliche und weibliche Schnapsdrosseln und ihre mehr oder weniger offenen Versorgungswege beobachten können, daran und an all die langjährigen Mitarbeiter mit der Flasche im Schreibtisch oder der Schachtel mit Minisschnäpsen im Spind erinnert mich deine Etüde, das Problem mit dem Kündigungsschutz, solange kein gravierender Fehler gemacht wurde, und der Arbeit, die weniger engagiert ausgeführt wurde, kaschierten in Engpässen solche wie ich, die Zeitarbeitsmäuse.

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    1. Als der Betrieb aufgelöst wurde, fielen die leeren grünen Dinger aus jeder Mauerritze, an den unmöglichsten Stellen kamen sie uns entgegen. Damals fand ich das witzig…

      Zeitarbeit – in ihren Auswüchsen gehört die verboten. Aber das erklär mal Union oder den „freien Demokraten“.

      Unsere Reinigungskraft wird „getrackt“ – wenn wir am Morgen auf dem Parkplatz ankommen, logt sie sich in der Firmenapp ein, diese hat Zugriff auf ihre Geo-Koordinaten, Meter-genau.

      Zeitarbeit ist fester Bestandteil der meisten Produktionen, weil sie erlaubt ist. Wäre Kinderarbeit erlaubt, würde auch sie erfolgen. Oder Versklavung, wie im Nationalsozialismus. Alle haben mitgemacht und profitiert, manche Firmen stehen selbst bis heute nur bruchteilig oder gar nicht zu ihrer Geschichte. Alles eine Frage der Politik, darum verstehe ich Menschen nicht, die sich für unpolitisch halten.

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      1. Ende der 70er war da eine noch nicht ganz so unmenshliche Zeitiarbeitswelt, aber ich kenne sie „vom Zuhören“ auch aus den gerade erst zurückliegenden Jahrzehnten, weil sich auch die grossen Konzerne heimlich nicht nur feste und billigere Dientsleisterfirmen „halten“, sondern auch noch mit Zeitarbeitern „auffüllen“ um den Druck auf die „Vertragserfüllung“ der Dienstleister zu erhöhen.
        Stimmt, jeder Mensch stellt durch sein Verhalten eine politische Entscheidung dar, ob er sich dessen bewusst ist, oder (leider) nicht.

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    1. Stimmt, nen Bierautomaten gab es auch in der Kleinstadt, die temporär damals meine Heimat war. Und einen Kerl, der auf einem stillgelegtem Tankstellengelände eine Autowerkstatt mit nächtlichem Bierverkauf betrieb. So man ihn den aus dem Bett lärmen konnte 🙂

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