Montag, 200928

Bevor mich die frisch begonnene Woche endgültig gefangen nimmt …

Füße

Sie sind eine oft missachtete Körperregion, bei genauerer Betrachtung wird ihnen damit grobes Unrecht getan. Was man an ihnen hat, wird erst so richtig klar, wenn sie krank werden, das gehen zur Qual wird. Kann also nur vorteilhaft sein, mit ihnen Freundschaft zu schließen, so wie mit den ganzen sich darüber aufbauenden Körper-Teilen.

Von der reinen Funktionalität mal abgesehen haben Füße durchaus auch eine starke sinnliche Komponente, gespeist zum einen aus den zahllosen Nervenenden, die in den Füßen zusammenlaufen und so bei Berührung alle inneren Organe und Körperregionen ansprechen können, helfen können, zu heilen. Andererseits bieten sie auch ein großes Maß an Ästhetik, durch ihre unwahrscheinliche Beweglichkeit dank der vielen kleinen Knochen und Gelenke.

Gut in Erinnerung geblieben sind mir ein spezielles Paar Füße, oder besser die Art des Menschen, dem sie gehören, sich mit ihrer Hilfe zu bewegen. Das war im letzten Jahr, im Rahmen der von einer Nachbargemeinde ausgerichteten kontemplativen Meditation, die ich eine Weile besuchte. Meist war ich früh dran und dank einer geheimnisvollen, sich wiederholenden Ordnung nahm die moderierende Pfarrerin stets neben mir Platz. Die Meditation ist eingeteilt in drei meist 20 Minuten dauernden Sitzmeditationen sowie zwischen den Blöcken eingelagerten Geh-Meditationen, die das ungewohnte stille Sitzen ein wenig auflockern. Der Ablauf ist stets der gleiche. Ertönt das Signal, erheben sich alle Teilnehmer, bringen ihre Meditationskissen, Decken, Bänke und dergleichen ein wenig auf Seite und gehen im Gänsemarsch stets im selben Abstand außen an den Wänden des unmöblierten Raumes entlang, den einzig in der Mitte eine kleine runde Decke mit einer dicken Kerze ziert. Der moderierende Mensch trägt dabei zwei Klanghölzer aus Hartholz, mit deren Hilfe er ein akustisches Signal zum starten gibt. Zweimal aneinander geschlagen bitten die Hölzer zum zügigen gehen, einmal geschlagen fordern sie alle Teilnehmer auf, so langsam als möglich weiter zu gehen. Wer, so wie ich, ein Freund von schnellen Wegen ist, darf hier das genaue Gegenteil lernen, die absolute Langsamkeit.

Wobei ich wieder zur Pfarrerin komme, die mir bedingt durch die ungeschriebene Sitzordung stets voran ging und auf eine unbeschreiblich anmutende Weise langsam gehen konnte, ihren schmalen Füße auf eine unglaublich achtsame Weise extrem langsam voreinander setzen, jeden Schritt auf ihnen mit viel Bedacht abrollen konnte. Nie zuvor habe ich einen Menschen mit so viel Anmut gehen sehen.

Manchmal übe ich mich daheim zur Freude unserer Katzen darin und genieße die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Darf ich meinen Vater beim Spaziergang mit Rollator begleiten, ähnelt die Geschwindigkeit stark der Gehmeditation und bringt Ruhe in den oft aufgewühlten Geist, was gerade in seiner Gegenwart sehr gut tun kann.

Wie tankst Du Kraft?

So lautete die Frage eines lieben Menschen, nebenan beim blauen Buch. Die Antwort fällt mir immer dann schwer, wenn ich gerade müde, platt, mit den Nerven herunter bin oder mich schlicht sehr leer und dunkel fühle (der schwarze Vogel lässt grüßen). Zustände, die Gott sei Dank nur temporär sind und nicht dazu neigen, sich zu manifestieren. Eigentlich ist es schon einiges, mit dem ich weder zu Kräften finde. Hier also mal der Versuch, dieses in loser Folge zusammen zu schreiben.

Gutes Essen, gerne selbst gemacht, ist immer hilfreich.
Licht, Luft, und Bewegung wirken Wunder.
Musik, mal still, mal wuchtig, immer intensiv.
Bücher – regen den Geist an, oder, je nach Genre, ab.

Aber auch die so genannten Kleinigkeiten bauen ungemein auf. Meine allmorgendlichen Übungen für Leib und Seele. Der Geruch und Geschmack von frisch gebrühten Sencha-Grüntee. Sinnlichkeit auf allen Ebenen, so auch der Duft von ätherischen Ölen, gerne Jasmin mit Ylan-Ylan.  Berührung  – sei es in der direkten Begegnung oder visuell hier beim lesen und schreiben. Das Gefühl von Dankbarkeit, berührbar zu sein, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, unberührbar zu sein.

Alles zusammen schon eine ganze Menge, wie ich finde. Alles zu seiner Zeit und gemeinsam hilft es, den schwarzen Vogel zu besänftigen. Schimpfen hilft nicht, und fort will er auch nicht. Soll er also bleiben, wo er ist, auch, wenn wir keine Freunde werden, können wir doch miteinander auskommen.

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